Perdido Street Station 01 - Die Falter
stand hinter ihnen. Während er mit gedämpfter Stimme skandierte, berührte er nacheinander die Schläfen der drei Scharfschützen.
Für einen Moment trübten sich die Blicke der Männer, dann sahen sie plötzlich Spektren aus Licht und Strahlung, die den Rauch für sie unsichtbar machten.
Jeder Schütze kannte Körperform und Bewegungsmuster seines Zielobjekts. Sie visierten durch den Gasnebel und entdeckten die Dreiergruppe aus Vodyanoi, die, feuchte Tücher über Mund und Nase, Kriegsrat hielten. Drei Schüsse krachten so schnell hintereinander, dass es wie einer klang.
Zwei der Vodyanoi fielen. Der dritte schaute sich verstört nach allen Seiten um, konnte aber in den Gasschwaden nichts erkennen. Er stürzte zu einer der Mauern aus Wasser, riss eine Hand voll heraus und schrieb mit der anderen Hand esoterische Zeichen darüber, während er eine Beschwörung murmelte. Einer der Scharfschützen ließ die abgeschossene Flinte fallen und hob die zweite Waffe auf. Das Ziel war ein Schamane, merkte er, und wenn man ihm Zeit ließ, konnte er eine Undine erschaffen und die Situation damit erheblich komplizieren. Der Schütze hob das Gewehr an die Schulter, zielte und feuerte in einer fließenden Bewegung. Der Hahn mit dem eingespannten Feuerstein glitt am gezähnten Rand des Pfannendeckels herunter und schlug Funken sprühend in die pulvergefüllte Pfanne.
Die Kugel zerriss den Gasvorhang, der sich kräuselnd teilte, und grub sich in den Hals des Objekts. Das dritte Mitglied des Streikkomitees der Vodyanoi stürzte in die schlickigen Pfützen, die in breitem Schwall auseinander spritzten. Sein Blut sickerte in den Morast und färbte ihn dunkelrot.
Die schillernden Mauern der Bresche im Flusslauf sanken in sich zusammen, Wassergüsse brachen aus dem überhängenden Kamm und weichten den Flussgrund auf, spülten um die Füße der letzten standhaften Streiker, in quirlenden Schlieren wie das Gas darüber, bis mit einem gewaltigen Brausen der geteilte Gross Tar sich in die Lücke ergoss, die kleine Wunde heilte, die seinen Lauf gehemmt hatte. Seine trüben Fluten begruben das Blut, die Pamphlete und die Toten.
Während die Miliz den Dockerstreik in Kelltree niederschlug, rollten auch aus dem Bauch des fünften Luftschiffs peitschende Seilschlangen.
Die aufgeschreckten Bewohner von Dog Fenn waren aus den Häusern gelaufen; neue Meldungen und Berichte von den Auseinandersetzungen flogen von Mund zu Mund. Flüchtlinge taumelten durch die schäbigen Gassen. Banden von Halbstarken wieselten platzend vor Tatendrang hin und her.
Die Straßenhändler in der Silverback Street zeigten aufgeregt rufend auf das Schauspiel am Himmel. Ihre Stimmen gingen unter in dem plötzlichen Dröhnen und Tuten von Hörnern, als eins nach dem anderen die fünf Luftschiffe Signal gaben. Eine Milizeinheit seilte sich in die Straßen von Dog Fenn ab, ihre schweren Stiefel hämmerten auf den Beton des Hinterhofs, in dem sie landeten. Sie sahen aus wie Zwitterwesen aus Mensch und Maschine, klobig und ungeschlacht in einer bizarren Panzerung. Die paar Arbeiter und Tagediebe in der Sackgasse bestaunten sie offenen Mundes, bis einer der Soldaten sich kurz umdrehte und den enormen Mündungstrichter seiner Flinte in ihre Richtung schwenkte. Daraufhin warfen die Gaffer sich zu Boden oder gaben Fersengeld.
Die Truppen stürmten die glitschige Treppe des Schlachthauses hinunter. Sie brachen durch die unverschlossene Tür und feuerten in die blutdunstgeschwängerte Luft. Die Fleischhauer und Schlachter drehten sich verdutzt um. Einer stürzte gurgelnd zu Boden, die Lunge von einer Kugel zerfetzt. Sein blutiger Kittel bekam frische rote Flecke, diesmal von innen. Die anderen flüchteten in Todesangst, auf dem schmierigen Boden rutschend und schlitternd.
Die Soldaten rissen die pendelnden, triefenden Ziegen- und Schweinekadaver herunter und zerrten an dem Transportband, bis es aus der Decke riss, sie stürmten weiter in den hinteren Teil des düsteren Gebäudes, polterten die Treppe hinauf und durch den kurzen Flur. Für den Widerstand, den sie ihnen leistete, hätte die Tür zu Benjamin Flex’ Schlafzimmer aus Papier sein können.
Einmal drinnen, nahmen sie links und rechts des wuchtigen Kleiderschranks Aufstellung, während ein Soldat einen schweren Vorschlaghammer vom Rücken nahm. Er schwang ihn gegen die alten Bretter, ein-, zwei-, dreimal, der Schrank brach in Stücke und gab den Blick frei auf ein Mauerloch, aus dem das Tuckern einer
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