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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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heraus, geladen und schussbereit. Die Augen auf dem Spiegel, richtete sie die Waffe nach hinten. Der Lauf schwankte hin und her, während sie sich bemühte, in dieser unmöglichen Haltung genau zu zielen.
    Isaac begriff, was sie vorhatte, und zog rasch seine eigene Waffe. Er drückte als Erster ab.
    Das Schwarzpulver zündete mit scharfem Knall. Die Kugel flog aus der Mündung und harmlos über den Kopf des Falters hinweg. Barbile schrie auf und bat stammelnd, flehentlich darum, man möge sie erschießen.
    Derkhan presste die Lippen zusammen und bemühte sich, den Arm ruhig zu halten.
    Sie feuerte. Der Gierfalter plusterte sich, seine Schwingen erbebten. Das abgründige Maul klappte auf, und ein stinkendes, ersticktes Zischen drang heraus, ein geflüsterter Schrei. Isaac entdeckte ein winziges Loch in dem pergamentenen Gewebe des linken Flügels.
    Barbile stieß einen abgehackten, schrillen Ton aus, wartete einen Augenblick, merkte, dass sie noch am Leben war, und schrie weiter.
    Der Gierfalter wendete sich gegen Derkhan. Zwei seiner Peitschenarme holten aus und schnalzten ihr einen zurechtweisenden Hieb quer über den Rücken. Derkhan wurde durch die offen stehende Tür katapultiert, die Gewalt des Doppelschlags presste ihr den Atem aus den Lungen, sie rang wimmernd nach Luft.
    »Sieh dich nicht um!«, brüllte Isaac. »Lauf! Lauf! Ich komme nach!«
    Er versuchte, die Ohren vor Barbiles wimmernden Bitten zu verschließen. Er hatte nicht die Zeit, um nachzuladen.
    Während er sich Schritt für Schritt zur Tür schob und betete, dass die Kreatur ihn auch weiterhin ignorierte, beobachtete er im Spiegel, was hinter ihm vorging.
    Er weigerte sich, es zu verarbeiten, lagerte die Bilder in einem Vorraum seines Gehirns. Später … Später würde er sich vielleicht damit beschäftigen, falls er lebend aus dieser Falle herauskam und wieder zu Hause war, bei seinen Freunden, falls er am Leben blieb, um Pläne zu schmieden, würde er dem Gesehenen Einlass in sein Bewusstsein gewähren.
    Doch vorläufig konzentrierte er sich darauf, an gar nichts zu denken, während er zuschaute, wie der Gierfalter seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zuwandte, die er umschlungen hielt. Isaac dachte an gar nichts, während er sah, wie dünne Affenfinger Barbiles Lider auseinanderschoben, als er sie schreien hörte und sich röchelnd übergeben, und dann die schlagartige Stille, als die fließenden Muster auf den Flügeln des Falters ihren Blick bannten. Er sah diese Schwingen sich gemächlich strecken und zu einem hypnotischen Bildteppich breiten, sah Barbiles entrückte Miene, als sie mit großen Augen auf das Farbenspiel schaute, sah ihren Körper erschlaffen und den Falter in grässlicher Vorfreude sabbern, sah diese unaussprechliche Zunge aus dem klaffenden Maul rollen und über Barbiles mit Erbrochenem besudelte Bluse hinauf zu ihrem Gesicht kriechen, während ihr glasiger Blick unverwandt in stupider Ekstase an den bunten Flügeln hing. Sah die gefiederte Zungenspitze zärtlich über Barbiles Gesicht, ihre Nase, ihre Ohren spielen, dann unvermittelt und gewaltsam zwischen den Zähnen hindurch in ihren Mund stoßen (selbst angestrengt an gar nichts denkend, musste Isaac würgen) und sich ungebührlich schnell in ihren Kopf schieben, sah ihre Augen aus den Höhlen quellen, als mehr und mehr der Zunge in ihr verschwand.
    Und dann sah Isaac etwas unter ihrer Kopfhaut schlängeln, unter ihrem Haar und Fleisch sich wölben und wandern, sah eine Bewegung, die nicht ihre war, hinter ihren Augen, und er schaute zu, wie Schleim und Tränen und Blut aus ihren sämtlichen Schädelöffnungen quollen, während die Zunge sich in ihren Geist wühlte. Und mit dem letzten Blick, bevor er sich abwandte und floh, sah Isaac das Licht in ihren Augen matt werden und erlöschen, und den Bauch des Gierfalters anschwellen, als er sie leer trank, Schluck für Schluck.

 
KAPITEL 32
     
     
    Lin war allein.
    Sie saß in der Bodenkammer, den Rücken an die Wand gelehnt, die Beine breit ausgestreckt wie eine Puppe. Sie schaute zu, wie der Staub in Schwaden zog. Es war dunkel. Warm. Es war irgendwann gegen Morgen, zwischen zwei und vier Uhr.
    Die Nacht war endlos und ohne Erbarmen. Lin fühlte Vibrationen in der Luft, das tremolierende Weinen und Klagen unruhigen Schlafs, das die Stadt durchzitterte. Ihr eigener Kopf war schwer von Vorahnungen und unbestimmter Bedrohung.
    Sie lehnte sich zurück und rieb sich müde den Kopfkäfer. Sie hatte Angst. Die Umstände sagten

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