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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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ihr, dass etwas nicht stimmte.
    Sie war vor Stunden bei Vielgestalt eingetroffen, am späten Nachmittag des vorigen Tages. Wie gewöhnlich hatte man sie aufgefordert, auf den Dachboden hinaufzusteigen, doch als sie den lang gestreckten, staubtrockenen Raum betrat, wurde sie diesmal nicht erwartet.
    Die Skulptur brütete düster im Halbdunkel. Nachdem sie sich erst suchend umgeschaut hatte – Dummheit, als könnte Vielgestalt sich irgendwo in dem leeren Raum versteckt haben –, war sie hingegangen, um ihre Arbeit zu begutachten. Da hatte sie noch, obwohl etwas beunruhigt, angenommen, dass Vielgestalt bald erscheinen würde.
    Sie hatte die Umrisse der Figur aus Kheprispei abgetastet. Zur Hälfte war sie fertig. Vielgestalts diverse Beine waren in gewundenen Formen und hyperrealen Farben ausgeführt, darüber der Ansatz des Rumpfs. Das Abbild endete ungefähr einen Meter über dem Boden in träufenden, fließenden Wellenverläufen. Es entstand der Eindruck einer überdimensionalen, halb heruntergebrannten Kerze nach dem Modell Vielgestalts.
    Lin hatte gewartet. Eine Stunde verging. Sie hatte versucht, die Falltür zu öffnen und die Seitenpforte, aber beide waren verschlossen. Sie hatte auf die eine mit dem Fuß gestampft und gegen die andere mit den Fäusten getrommelt, laut und wiederholt, doch es erfolgte keine Reaktion.
    Ein Missverständnis, beruhigte sie sich. Vielgestalt ist beschäftigt, er wird kommen, sobald seine Zeit es erlaubt. Aber sie konnte sich nicht überzeugen. Vielgestalt war Perfektionist. Als Geschäftsmann, als Schurke, als Philosoph und als Modell.
    Diese Unpünktlichkeit war kein Zufall, sondern inszeniert.
    Lin wusste nicht, weshalb, aber Vielgestalt wollte, dass sie wartete und Blut und Wasser schwitzte, allein.
    Stunden vergingen. Nervosität wurde Angst, wurde Langeweile, wurde Fatalismus, und sie zeichnete Muster in die Staubschicht auf dem Boden und öffnete ihren Kasten, um ihre Färberbeeren zu zählen, wieder und wieder. Die Nacht brach herein, und immer noch war sie sich selbst überlassen.
    Fatalismus kehrte sich wieder in Angst.
    Warum tut er das?, fragte sie sich. Was bezweckt er damit? Dieses Verhalten war ganz anders als Vielgestalts übliches Getändel, seine Neckereien, seine gefährliche Redseligkeit. Dies war bedrohlich.
    Endlich, nach Stunden und Stunden des Wartens, hörte sie ein Geräusch.
     
    Vielgestalt war da, flankiert von seinem Kaktus-Handlanger und einem Paar kolossaler Gladiatorenremade. Lin rätselte, wo sie hergekommen waren. Vor einem Moment war sie noch allein gewesen.
    Sie stand auf. Unwillkürlich ballten ihre Hände sich zu Fäusten.
    »Miss Lin, ich danke Ihnen für Ihr Kommen«, sagte Vielgestalt aus einer tumorigen Ansammlung von Mündern.
    Sie wartete ab.
    »Miss Lin«, fuhr er fort, »vorgestern hatte ich eine überaus interessante Unterhaltung mit jemandem namens Lucky Gazid. Sie werden Mr. Gazid schon längere Zeit nicht gesehen haben. Er war inkognito für mich tätig. Wie auch immer, Sie wissen vermutlich, dass in der ganzen Stadt Dreamshit momentan Mangelware ist. Einbrüche häufen sich. Wie auch Raubüberfälle. Die Leute sind verzweifelt. Die Preise sind unglaublich in die Höhe geschnellt. Es gibt keinen Nachschub. Unter anderem hat diese beklagenswerte Situation zur Folge, dass Mr. Gazid, den man als einen besonderen Connaisseur von Dreamshit bezeichnen kann, einigermaßen außer sich ist. Ziemlich außer sich. Er kann sich den Stoff nicht mehr leisten, nicht einmal nach Inanspruchnahme seines Angestelltenrabatts.
    Nun, vorgestern hörte ich ihn fluchen – er ist auf Entzug, und Flüche sind dieser Tage seine gewöhnliche Ausdrucksform, aber diesmal horchte ich auf. Wissen Sie, was er winselte, während er an seinen Fingernägeln kaute? ›Hätte ich das ganze ’shit bloß nicht Isaac gegeben!‹«
    Der Kaktus neben Vielgestalt öffnete die tatzengroßen Hände und rieb die warzigen, grünen Finger gegeneinander. Er hob eine Hand an die unbedeckte Brust und drückte mit Bedacht den Zeigefinger auf einen seiner eigenen Stacheln, bis er ganz durchbohrt war. Seine Miene blieb ausdruckslos.
    »Finden Sie das nicht ebenfalls hoch interessant, Miss Lin?«, erkundigte Vielgestalt sich mit falscher Liebenswürdigkeit. Er schob sich im Krebsgang auf seinen zahllosen Beinen auf sie zu.
    Was soll das? Was soll das?, dachte Lin. Sie fühlte sich in die Enge gedrängt, und es gab nichts, wohin sie fliehen konnte.
    »Besonders, wenn ich Ihnen in dem

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