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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sahnefarbenen, segmentierten Chitin unter Ihrem Kopf verschmilzt.«
    Zum ersten Mal, seit Lin den Raum betreten hatte, schien der Sprecher um Worte verlegen zu sein.
    »Haben Sie sich je an der Skulptur eines Kaktus’ versucht? Nein? Aber Sie werden Exemplare dieser Spezies aus der Nähe betrachtet haben? Meinen Angestellten, der Sie hergeführt hat, zum Beispiel. Sind Ihnen seine Füße aufgefallen, seine Finger, sein Nacken? Es gibt einen Bereich, wo die Haut, die Hülle der denkenden Kreatur, zu rein vegetativer Substanz wird. Schneiden Sie in die fleischige runde Basis am Fuß eines Kaktus’, und er wird nichts spüren. Stechen Sie in den Schenkel, wo er etwas empfindsamer ist, und er wird protestieren. Aber dazwischen, an dieser Stelle – das ist etwas ganz anderes – Nerven verbinden sich, lernen pflanzliches Sein, und Schmerz ist fern, stumpf, vage, irritierend eher als quälend.
    Es gibt noch weitere Beispiele. Nehmen Sie den Torso der Krabben oder der Inchmen, die abrupte Transition eines Remade-Gliedes, die vielen Rassen und Spezies in dieser Stadt und zahllosen anderen in der ganzen Welt, die mit einer Bastardphysiognomie leben. Sie werden möglicherweise einwenden, dass Sie keine Transition sehen, dass die Khepri sind, wie die Natur sie schuf, und dass humanoide Züge zu sehen, anthropozentrisches Denken meinerseits ist. Aber die Ironie dieses Vorwurfs einmal beiseite – eine Ironie, die Ihnen vorläufig noch entgeht –, werden Sie nicht umhin können, bei anderen Spezies das Flickwerk zu erkennen. Vielleicht sogar bei den Menschen.
    Und die Stadt selbst? Gelegen, wo zwei Flüsse danach streben, Meer zu sein; wo Berge Plateau werden; wo Baumgruppen nach Süden hin zusammenrücken und – Quantität wird Qualität – plötzlich Wald sind. New Crobuzons Architektur benachbart das Industrielle, das Wohnliche, das Opulente, das Elendsviertel, das Unterirdische, das Himmelstürmende, das Moderne, das Antike, das Bunte, das Triste, das Üppige, das Öde … Sie begreifen, was ich sagen will. Genug davon.
    Darum dreht sich die Welt, Miss Lin. Ich halte das für die fundamentale Dynamik – Transition. Der Punkt, an dem ein Ding ein anderes wird. Das macht Sie, unsere Stadt, die Welt zu dem, was sie sind. Und das ist das Thema, das mich fasziniert. Der Punkt, an dem das Fremde Teil des Ganzen wird. Die hybride Zone.
    Könnte dieses Thema Ihr Interesse wecken, was meinen Sie? Und falls die Antwort Ja lautet – dann werde ich Sie bitten, für mich zu arbeiten. Antworten Sie nicht vorschnell, halten Sie sich vor Augen, was dieses Ja für Sie bedeuten wird.
    Ich werde Sie bitten, nach dem lebenden Modell zu arbeiten, eine Skulptur anzufertigen, von mir, in Lebensgröße.
    Nur sehr wenige Personen bekommen mein Gesicht zu sehen, Miss Lin. Ein Mann in meiner Position muss vorsichtig sein. Sie werden das verstehen können. Wenn Sie meinen Auftrag annehmen, werde ich Sie reich machen, aber mir gehört dafür ein Teil Ihres Gehirns. Der Teil, der mit mir zu tun hat, der ist mein Eigentum. Sie haben nicht die Erlaubnis, ihn mit jemandem zu teilen. Tun Sie es dennoch, werden Sie unbeschreibliche Qualen erdulden, bevor der Tod Sie erlöst.«
    »Nun …« Ein Knarren verriet Lin, dass er sich zurückgelehnt hatte. »Nun, Miss Lin? Sind Sie interessiert an der hybriden Zone? Mache ich Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können?«
    Nein, das kann ich wahrhaftig nicht, dachte Lin hilflos, das kann ich einfach nicht. Das Geld, die künstlerische Herausforderung … Ihr Götter, helft mir. Ich kann dieses Angebot nicht ablehnen. O bitte, bitte, lasst mich das nicht bereuen.
    Sie zeigte ihr Einverständnis mit den gestellten Bedingungen.
    »Das freut mich außerordentlich«, seufzte er. Lins Herzschlag raste. »Das freut mich wirklich sehr. Wohlan …«
    Ein schleifendes Geräusch hinter dem Schirm. Lin saß ganz still auf ihrem Stuhl. Ihre Fühler zitterten.
    »Die Jalousien im Büro sind geschlossen, nehme ich an«, sagte Vielgestalt. »Weil ich finde, Sie haben ein Recht darauf zu sehen, womit Sie arbeiten werden. Ihr Verstand gehört mir, Lin. Sie arbeiten jetzt für mich.«
    Vielgestalt stand auf und stieß den Wandschirm um. Lin erhob sich halb, ihre Kopfbeine spreizten sich vor Staunen und Entsetzen. Sie starrte ihn an.
    Fetzen aus Haut und Fell und Federn schwangen bei jeder Bewegung, winzige Gliedmaßen fuchtelten, Augen rollten in obskuren Nischen, Geweihzacken und knöcherne Grate ragten grotesk, Fühler

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