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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Stimme hinter dem Schirm war melodisch, der Rhythmus des Vortrags hypnotisch skandierend: Der Unsichtbare sprach mit der Diktion eines Dichters. Sein Redefluss strömte lyrisch, die nackten Worte waren brutal. Lin fürchtete sich sehr. Sie wusste nichts zu sagen. Ihre Hände schwiegen.
    »Nachdem ich also zu dem Schluss gekommen bin, dass mir Ihre Arbeiten gefallen, habe ich den Wunsch, mich mit Ihnen zu unterhalten, um festzustellen, ob Sie geeignet sind für ein Projekt, dass ich in Auftrag geben möchte. Ihr Stil ist ungewöhnlich für eine Khepri, stimmen Sie mir zu?«
    Ja.
    »Erzählen Sie mir von Ihren Skulpturen, Miss Lin, und fürchten Sie nicht, falls Sie diesbezüglich Vorbehalte haben, es könnte prätentiös klingen. Ich bin der Meinung, dass man Kunst ernst nehmen sollte, und vergessen Sie nicht, dass ich dieses Gespräch angeregt habe. Die Schlüsselworte, die ich bei der Beantwortung meiner Fragen berücksichtigt sehen möchte, sind ›Themen‹, ›Technik‹ und ›Ästhetik‹.«
    Lin zögerte, aber die Angst trieb sie an. Sie wollte diesen Mann bei Laune halten, und wenn sie dazu über ihre Arbeit sprechen musste, dann würde sie genau das tun.
    Ich arbeite allein, zeigte sie, als Form des Protests. Ich habe Creekside verlassen und dann Kinken, meinen Clan und meine Schwesternschaft. Das Leben dort ist trostlos, deshalb wurde Gemeinschaftskunst zu einfältiger Glorifizierung. Wie der Platz der Skulpturen. Ich wollte etwas – Ehrliches speien. Wollte die pathetischen Figuren, die wir gemeinsam schufen, mehrdeutiger gestalten. Verärgerte meine Schwestern. Konzentrierte mich auf meine eigene Kunst. Ehrliche Kunst. Creekside-ehrlich.
    »Das entspricht genau dem, was ich erwartet hatte. Es ist sogar – verzeihen Sie – einigermaßen gewöhnlich. Wie dem auch sei, es mindert in keiner Weise die Ausdruckskraft des Werks an sich. Kheprispei ist eine großartige Substanz, von unvergleichlichem Lüster, und durch ihre Härte und das geringe Gewicht überdies praktisch - Letzteres ein Begriff, dessen bin ich mir bewusst, der im Zusammenhang mit Kunst einen Fauxpas darstellt, aber ich bin Pragmatiker. Wie auch immer, dass ein derart exquisiter Werkstoff nur dazu dienen soll, dem kitschigen Wunschdenken nostalgischer Khepri Gestalt zu verleihen, ist eine unverzeihliche Verschwendung. Ich war außerordentlich erleichtert zu sehen, dass jemand ihn benutzt, um Originelles, Subversives daraus zu schaffen. Die exakten Konturen, die Sie zu erzielen vermögen, sind übrigens ganz außergewöhnlich.«
    Vielen Dank. Ich verfüge über eine sehr präzise Exkretionstechnik. Lin genoss die Befreiung von der gesellschaftlich auferlegten Pflicht, das eigene Licht gefälligst unter den Scheffel zu stellen. Ursprünglich war ich ein Mitglied der Out-now-Schule, die es verbietet, an einem Stück zu arbeiten, nachdem es ausgeschieden wurde. Diese Methode verleiht ausgezeichnete Kontrolle. Dennoch habe ich mich davon abgewandt. Seither nehme ich, solange das Spei weich ist, Nachbearbeitungen vor. Größerer Spielraum – ich kann Überhänge gestalten und ähnliches.
    »Arbeiten Sie viel mit Farbnuancierungen?« Lin nickte. »Ich frage, weil auf den Heliotypen die Objekte nur in Sepia wiedergegeben sind. Gut zu wissen. Damit hätten wir Technik und Ästhetik abgehandelt. Nun bin ich sehr an Ihren Gedanken bezüglich Thematik interessiert, Miss Lin.«
    Lin fühlte sich wie betäubt. Plötzlich wollte ihr partout nicht einfallen, welches ihre Themen waren.
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen. Ich möchte Ihnen erklären, an welchen Inhalten mir gelegen ist. Anschließend können wir feststellen, ob Sie die Richtige sind für das Projekt, das mir vorschwebt.«
    »Bitte heben Sie den Kopf, Miss Lin.« Überrascht leistete sie der Aufforderung Folge, auch wenn es sie nervös machte, die verwundbare Unterseite ihres Käferkopfes preiszugeben. Sie hielt still, während Augen hinter dem Spiegelfisch sie musterten.
    »Sie haben am Hals die gleichen Sehnen wie eine Menschenfrau. Sie teilen mit ihr auch die Mulde am Ansatz der Kehle, von der Dichter schwärmen. Das besondere Rot ihrer Haut lässt Sie fremdartig erscheinen, doch es könnte durchaus noch als humanoid gelten. Ich folge diesem wunderschönen menschlichen Hals nach oben – ich bin überzeugt, Sie würden die Bezeichnung ›menschlich‹ nicht akzeptieren, aber haben Sie einen Moment Geduld mit mir – bis zu dieser schmalen Übergangszone, wo die weiche menschliche Haut mit dem

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