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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Angehörige die Tausende von Büchern in Kisten verpackten und beim Fliegen zwischen sich trugen, wenn sie in dem immer währenden, glutheißen Cymek-Sommer auf den traditionellen Routen dem Wasser und dem Wild folgten. Von der riesigen Zeltstadt, die aus dem Boden wuchs, wo immer sie landeten, und den Garuda-Familien, die dem venerablen Zentrum des Wissens zustrebten, wann immer es sich in erreichbarer Nähe befand.
    Die Bibliothek war viele hundert Jahre alt und umfasste Schriften in unzähligen Sprachen, toten wie lebenden: Ragamoll, dem der in New Crobuzon gesprochene Dialekt entstammte; Hotchi; Fellid-Vodyanoi, Südliches Vodyanoi; Hochkhepri und viele andere. Sie bewahrten sogar einen Kodex, erklärte Yagharek sichtlich stolz, in dem geheimen Idiom der Handlinger.
    Isaac schwieg. Er schämte sich seiner Unwissenheit. Sein Bild von den Garuda bedurfte einer Revision. Dies war mehr als ein edler Wilder. Höchste Zeit, deiner eigenen Bibliothek einen Besuch abzustatten und dich über die Garuda zu informieren, bornierter Holzkopf, beschimpfte er sich in Gedanken.
    »Unsere Sprache besitzt keine geschriebene Form, doch wir lernen während unseres Heranwachsens in mehreren anderen zu lesen und zu schreiben«, erklärte Yagharek. »Wir erwerben neue Bücher von Reisenden und Händlern, von denen viele durch New Crobuzon gekommen sind. Einige sind gebürtig aus dieser Stadt, daher ist sie uns wohlvertraut. Ich habe ihre Geschichte studiert, die Sagen gelesen.«
    »Dann hast du mir einiges voraus, Freund, denn ich weiß rein gar nichts über deine Heimat«, bekannte Isaac niedergeschlagen. Nach kurzem Schweigen blickte er wieder zu Yagharek auf.
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, weshalb du zu mir gekommen bist.«
    Yagharek wandte sich ab und blickte aus dem Fenster. Auf dem Fluss trieben Boote mit der Strömung vorüber.
    Die schnarrende Stimme des Garuda war nicht geeignet, Emotionen auszudrücken, aber Isaac glaubte, Abscheu herauszuhören.
    »Zwei Wochen lang krieche ich wie ein Wurm von einem Loch zum anderen. Ich lese, frage, forsche und was ich erfahre, weist mich nach Brock Marsh. Und in Brock Marsh weist es mich zu dir. Ich frage: ›Wer vermag die Eigenschaften von Materie zu verändern?‹ ›Grimnebulin, Grimnebulin‹, antwortet man. ›Wenn du Gold hast‹, sagen sie, ›ist er dein Mann. Oder wenn du kein Gold hast, aber seine Neugier weckst, oder wenn du ihn langweilst, aber sein Mitleid erregst, oder wenn eine Laune ihn anwandelt.‹ Sie sagen, du bist ein Weiser, der die Geheimnisse der Materie kennt, Grimnebulin.«
    Der Raubvogelblick bannte Isaac an seinen Platz. »Ich habe etwas Gold. Ich werde deine Neugier wecken. Dein Mitleid. Ich flehe dich an, mir zu helfen.«
    »Sag mir, was du willst.«
    Wieder schaute Yagharek aus dem Fenster. »Vielleicht bist du in einem Ballon gefahren, Grimnebulin. Hast hinuntergeblickt auf Dächer, auf die Erde. Ich bin als Jäger der Lüfte geboren. Die Garuda sind ein Jägervolk. Mit dem Bogen, dem Speer und der langen Peitsche erlegen wir am Himmel die Vögel und am Boden das flüchtende Wild. Dadurch sind wir Garuda. Meine Füße sind nicht gemacht, durch den Erdenstaub zu wandeln, sondern dafür, Beute zu greifen und in Stücke zu reißen. Sich in Bäume und Fels zu krallen, der Sonne nah.«
    Yagharek sprach wie ein Dichter, stockend zwar, aber ganz im Stil der dazumaligen Epen und Historien, die seine Wissensquelle gewesen waren, und mit der eigentümlich gestelzten Redeweise dessen, der eine Sprache aus alten Büchern gelernt hat.
    »Fliegen ist nicht eitles Vergnügen. Fliegen können ist das, wodurch ich Garuda bin. Mich schaudert, wenn ich Dächer über mir sehe, Dächer, die mich erdrücken. Ich will hinunterschauen auf diese Stadt, bevor ich heimkehre, Grimnebulin. Ich will fliegen, nicht nur einmal, sondern immer, nach meinem Belieben.
    Ich will, dass du mir den Himmel wiedergibst.«
    Yagharek öffnete die Schließe seines Umhangs und schleuderte ihn von sich. In einer Haltung trotziger Beschämung ertrug er hoch aufgerichtet Isaacs bestürzten Blick.
    Yagharek hatte keine Flügel.
    Statt ihrer trug er auf den Rücken geschnallt ein raffiniertes Gestell aus hölzernen Streben und Lederriemen, das, als er sich umdrehte, läppisch auf und ab wippte. Zwei lange, geschnitzte Bretter ragten aus einer Art Lederwams hoch über seinen Kopf hinaus und hingen von dort, durch Scharniere geteilt, bis zu seinen Knien hinab. Das Gebilde täuschte die Umrisse von

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