Perdido Street Station 01 - Die Falter
Bratenfleisch vor seinem Mund baumeln, schlürfte es mit der Zunge ein und wischte die fettigen Finger an der Tischkante ab. Er lächelte sie an. Sie wedelte mit den Kopfbeinen und signalisierte ihm: Mein kleines Monster.
Ich bin pervers, dachte Isaac, und sie ist es ebenfalls.
Unterhaltungen beim Frühstück verliefen zumeist einseitig: Lin hatte, während sie aß, die Hände frei, um Zeichen zu geben, doch Isaacs Versuche, gleichzeitig zu reden und zu essen, erbrachten lediglich unverständliche Lautäußerungen und Krümelfontänen. Stattdessen lasen sie; Lin eine Künstlerzeitung, Isaac alles, was sich in Reichweite befand. Zwischen einzelnen Bissen griff er wahllos nach Büchern und Blättern und merkte, dass er Lins Einkaufszettel studierte. Der Posten ein Fingerbreit Schweinefleisch war eingekreist, und unter ihrer exquisiten Schönschrift stand eckig hingekritzelt die Frage: Haben wir Besuch? Endlich ein heißes Würstchen für meinen Appetithappen!!!
Isaac schwenkte den Zettel hin und her. »Was erdreistet sich der alte Schmutzfink?«, raunzte er und versprühte Halbzerkautes. Seine Entrüstung war belustigt, aber dennoch echt.
Lin las und zuckte die Schultern.
Weiß, dass ich kein Fleisch esse. Weiß, ich habe einen Gast zum Frühstück. Zweideutigkeit von ›Würstchen‹.
»Recht herzlichen Dank, Liebste, das habe ich verstanden. Woher weiß er, dass du Vegetarierin bist? Gönnt ihr euch öfter so ein witziges Geplänkel?«
Lin starrte ihn einen Moment an, ohne zu antworten.
Weiß es, weil ich kein Fleisch kaufe. Sie schüttelte den Kopf über die dumme Frage. Keine Sorge, Geplänkel nur auf Papier. Weiß nicht, dass ich Kerfe bin.
Ihre absichtliche Verwendung des Schimpfworts ärgerte Isaac. »Verdammt, ich wollte nicht andeuten …«
Lins kippelnde Handbewegung war das Äquivalent einer hochgezogenen Augenbraue. Isaac heulte erbost. »Gottschiet, Lin! Nicht alles, was ich sage, hat mit Angst vor Entdeckung zu tun!«
Isaac und Lin waren seit fast zwei Jahren ein Paar. Sie hatten von Anfang an vermieden, allzu genau über die Regeln ihrer Beziehung nachzudenken, aber je länger sie zusammen waren, desto schwieriger wurde es, diese Strategie der Verdrängung aufrechtzuerhalten. Ungestellte Fragen stiegen an die Oberfläche. Unschuldige Bemerkungen und schiefe Blicke Dritter, ein zu langes Beisammenstehen in der Öffentlichkeit – die Notiz eines Kaufmanns – alles gemahnte daran, dass sie in gewisser Weise ein Geheimnis lebten. Alles wurde dadurch kompliziert.
Sie hatten nie ausdrücklich vereinbart: Wir werden nicht allen von unserer Beziehung erzählen, vor einigen werden wir sie geheim halten. Doch in stillschweigendem Einverständnis taten sie genau das.
Seit einiger Zeit gab Lin immer wieder zu verstehen, mit schnippischen und beißenden Bemerkungen, dass Isaacs Weigerung, sich zu ihr zu bekennen, im besten Fall Feigheit sei, schlimmstenfalls bigott. Dieser Mangel an Verständnis ärgerte ihn. Schließlich hatte er seine engeren Freunde in die Art ihrer Beziehung eingeweiht, genau wie Lin die ihren. Und für sie war alles viel, viel einfacher.
Sie war Künstlerin. Ihr Kreis waren die Libertinisten, die Mäzene und die Mitläufer, Bohemiens und Schmarotzer, Poeten und Kritiker und künstlerisch legitimierte Junkies. Sie ergötzten sich am Skandalösen und dem Outre. In den Teestuben und Bars von Salacus Fields waren Lins Eskapaden – genussvoll angedeutet, nie geleugnet, nie präzisiert – das Thema anzüglicher Plaudereien und Gerüchte. Ihr Liebesleben war Avantgarde, ein Art-Happening wie Concrete Music in der vergangenen Saison oder ’Snot Art! im Jahr davor.
Und ja, Isaac verstand sich auf das Spiel. Er war bekannt in dieser Welt, aus Zeiten lange vor seinem Verhältnis mit Lin. Immerhin war er der wissenschaftliche Renegat, der unangepasste Denker, der einer lukrativen Professur den Rücken gekehrt hatte, um sich Experimenten zu widmen, die für die beschränkten Geister an der Universität zu extravagant und spektakulär waren. Was scherten ihn Konventionen? Er schlief mit wem oder was ihm beliebte, basta!
Derart war sein Image in Salacus Fields, wo seine Beziehung zu Lin ein offenes Geheimnis war, wo er es genoss, nicht Versteck spielen zu müssen, wo er ihr in den Bars den Arm um die Schultern legte und ihr Pikanterien zuflüsterte, während sie Zuckerkaffee aus einem Schwamm saugte. Das war seine Version, und sie entsprach wenigstens zur Hälfte der Wahrheit.
Isaac
Weitere Kostenlose Bücher