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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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schlich.
     
    Wie gewöhnlich stand niemand an der Sperre, um ihren Fahrschein zu kontrollieren. Wären nicht die unabsehbaren Folgen einer Entdeckung zu befürchten gewesen, hätte Derkhan sich nicht die Mühe gemacht, einen zu lösen. Sie warf den Pappstreifen auf den Tresen und stieg die Treppe hinunter.
    Die Tore des Bahnhofs von Dog Fenn standen immer offen. Sie waren in ihrer Stellung festgerostet, und wuchernder Efeu hatte sie an der Wand verankert. Derkhan trat hinaus in Lärm und Gestank der Silverback Street. Schubkarren lehnten an schmierigen, wie von Aussatz zerfressenen Hausmauern. Hier konnte man alles Mögliche kaufen – manchmal sogar Waren von erstaunlich hoher Qualität. Derkhan bog in die breite Durchgangsstraße ein, und der Chor schriller Stimmen schlug über ihr zusammen, Marktgeschrei, das sich mehr nach einem Volksaufstand anhörte. In der Hauptsache waren es Lebensmittel, die angepriesen wurden.
    »Zi pollen! Kauft meine schönen Zi pollen!«
    »Schnecken! Fangfrische Schnecken!«
    »Suppe! Schöne warme Suppe!«
    An jeder Straßenecke wurden noch mehr Waren und Dienstleistungen feilgeboten.
    Dirnen scharten sich zu verlotterten, vulgären Cliquen: schmutzige Petticoats und fadenscheinige Volants aus gestohlener Seide; weiße und rote Schminke über Blutergüssen und geplatzten Adern. Sie lachten mit Mündern voller schadhafter Zähne und schnupften winzige Prisen mit Ruß und Rattengift verschnittenes Shazbah. Kinder waren darunter, die mit kleinen Papierpuppen und hölzernen Ringen spielten, wenn niemand hinsah, doch sobald ein Mann vorbeiging, schürzten sie die Lippen und wackelten lasziv mit der Zunge.
    Dog Fenns Liebesdienerinnen bildeten die unterste Kategorie eines verachteten Gewerbes. Nach fantasievoller Verderbtheit und dekadenter Perversion suchte der Connaisseur anderswo, an der Roten Meile zwischen The Crow und Spit Hearth. In Dog Fenn kaufte man die schnellste, primitivste, billigste Erleichterung. Die Kunden hier waren ebenso arm und dreckig wie die Huren und hatten die gleichen Krankheiten.
    An den Türen von Kneipen, aus denen schon jetzt die ersten sinnlos betrunkenen Gäste torkelten, arbeiteten industriell konstruierte Remade als Rausschmeißer. Sie wiegten sich aggressiv auf Hufen, Sohlen, klobigen Füßen, spreizten stählerne Krallenfinger. Ihre Züge waren verroht, abweisend. Bei den Schmähungen Vorübergehender wurden ihre Augen starr. Um ihren Broterwerb nicht zu verlieren, duldeten sie es, dass man ihnen ins Gesicht spuckte. Ihre Angst war berechtigt: Links von Derkhan gähnte eine höhlenartige Öffnung im Pfeiler einer der Hochbahn-Arkaden. Aus der Finsternis quoll ein Brodem aus Kot und Maschinenöl, man hörte das Klappern metallener Gliedmaßen, Stöhnen aus menschlichen Kehlen – Remade, die dort an Hunger, Schnaps und Elend krepierten.
    Ein paar altersschwache, klapprige Konstrukte tapsten durch die Straßen, duckten sich unbeholfen vor den Steinen und Dreckbatzen, die zerlumpte Kinder nach ihnen warfen. Sämtliche Häuserwände waren mit Graffiti beschmiert. Rüde Gedichte und obszöne Bilder konkurrierten mit Slogans aus dem Lauffeuer und Gebeten voller Zukunftsangst:
    Gotteshand kommt!
    Gegen die Lotterie!
    Tar und Canker Hurenschenkel / NC fragt sich, wo der Liebste blieb / lässt sich jetzt vögeln, bis es brennt / von den Schwänzen aus dem Parlament.
    Religiöse Einrichtungen blieben nicht verschont. Die Mönche vom Veruline-Orden bemühten sich verschämt flüsternd, die pornografischen Darstellungen wegzuscheuern, die sich auf den Mauern ihrer Kapelle breit gemacht hatten.
    Auch Xenianer befanden sich unter den Passanten. Einige mussten sich Belästigungen gefallen lassen, besonders die wenigen Khepri. Andere lachten und schwatzten und fluchten mit ihren Nachbarn. An einer Straßenecke gab es eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen einem Kaktus und einem Vodyanoi, und der zu 99 Prozent aus Menschen bestehende Kreis der Zuschauer feuerte beide Seiten an.
    Kinder bettelten um Heller. Derkhan schenkte ihnen keine Beachtung. Sie beging nicht den Fehler, die Tasche enger an sich zu drücken und sich damit als Opfer kenntlich zu machen, sondern marschierte entschlossen, zielstrebig in das Zentrum von Dog Fenn.
    Die Mauern links und rechts trafen sich über ihrem Kopf, als sie unter maroden Brücken und provisorischen Kniestockanbauten hindurchging, die aussahen, wie aus Gossendreck hochgezogen. Im Schatten dieser Bauwerke tropfte und knarrte es

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