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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Notizbuch in ihre Tasche gleiten und knipste sie zu.
    »Machen wir uns einen schönen Abend«, sagte er leise.
    Lin nickte, lehnte ihren Kopfkörper an seine Schulter und drückte ihn kurz.
    Rasch trennten sie sich wieder, aus Furcht, beobachtet zu werden, und machten sich auf den Weg zur Sly Station, schlendernd wie Verliebte, nebeneinander, doch auf Abstand. Für alle Fälle.

 
KAPITEL 12
     
     
    Wenn ein Mörder die Herrenhäuser von Flag Hill oder Canker Wedge heimsuchte, würde die Miliz nicht an den Schauplatz des Verbrechens eilen und alle Kräfte mobilisieren, den Unhold zu ergreifen? Aber selbstverständlich! Die Jagd auf Jack Gotteshand beweist es! Andererseits, wenn in Smog Bend der Augenpflücker zuschlägt, geschieht gar nichts! Vergangene Woche wurde ein weiteres augenloses Opfer aus dem Tar gezogen – womit sich die Zahl der Toten auf fünf erhöht –, und nicht ein Wort von den blau uniformierten Schlägern im Spike Tower. Wir sagen: Es gibt ein Gesetz für die Reichen, ein anderes für die Armen!
     
    In ganz New Crobuzon hängen jetzt die Plakate, auf denen die Parteien um eure Stimmen werben – falls ihr zu den Glücklichen gehört, die ein Stimmrecht besitzen! Rudgutters Gute-Ernte- Partei drischt nur leere Phrasen, Durchblick hängt das Mäntelchen nach dem Winde, Liberale Vielfalt belügt die ihre Rechte einfordernden Xenianer, und das Gesocks von den Drei Federn versprüht sein Gift. Angesichts dieser Übel, von denen wir nur hoffen können, das geringste zu wählen, ruft Lauffeuer alle »Gewinner« des Stimmrechts auf, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen! Gründet eine Partei des Volkes und entlarvt die Suffragium-Lotterie als zynischen Betrug. Wir fordern: Stimmrecht für alle und stimmt für Veränderung!
     
    Die Vodyanoi-Schauerleute in Kelltree erwägen Streikmaßnahmen nach drastischen Lohnkürzungen seitens der Hafenbehörden. Die Gilde der menschlichen Dockarbeiter hat sich nicht geschämt, die geplanten Aktionen zu verraten. Wir sagen: Weg von der Klüngelwirtschaft hin zu einer einheitlichen Gewerkschaft – und Kontra den Bossen!
     
    Derkhan hob den Blick von der Zeitung, als an der Haltestelle ein junges Paar in den Waggon stieg. Beiläufig und verstohlen faltete sie ihr Exemplar des Lauffeuer zusammen und steckte es in die Tasche.
    Sie saß an der Stirnseite des Wagens, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, so dass sie die wenigen Mitreisenden im Auge behalten konnte, ohne sich verdächtig zu machen. Die beiden jungen Leute, die eben zugestiegen waren, taumelten, als der Zug Fahrt aufnahm, und suchten sich schnell einen Sitzplatz. Sie waren einfach, aber gut gekleidet, im Gegensatz zur Mehrzahl derer, die nach Dog Fenn unterwegs waren. Veruline-Missionare, vermutete Derkhan, Studenten der Universität oben an der Chaussee in Ludmead, die fromm und scheinheilig in die Niederungen von Dog Fenn hinunterstiegen, um den Armen das Licht zu bringen. Sie schnitt ihnen in Gedanken eine Grimasse, während sie ihren kleinen Spiegel aus der Tasche kramte.
    Nach einem Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, dass niemand ihr besondere Aufmerksamkeit schenkte, prüfte sie im Spiegel Gesicht und Frisur. Sie rückte behutsam an der weißen Perücke und drückte die künstliche Narbe fest an die Haut. Bevor sie sich auf den Weg machte, hatte sie große Sorgfalt auf ihre äußere Erscheinung verwendet. Ungepflegte, abgetragene Kleider, nichts, was nach Geld aussah und in Fenn Begehrlichkeiten wecken konnte, aber auch nicht so zerlumpt, dass sie den verachtungsvollen Zorn der Reisenden in The Crow auf sich zog, wo sie ihre Reise angetreten hatte.
    Das Notizbuch lag auf ihrem Schoß. Sie wollte die lange Bahnfahrt nutzen, um erste Stichworte über die Verleihung des Shintacost-Preises festzuhalten. Die erste Runde sollte irgendwann Ende des Monats stattfinden, und sie plante einen Artikel für den Leitstern, darüber, welche Arbeiten verlässlich die Vorauswahlen zu überstehen pflegten und welche von vornherein so gut wie keine Chance hatten. Es sollte lustig werden, eine Glosse, doch verbunden mit einer unterschwelligen Kritik an der Politik des Auswahlgremiums.
    Sie überflog den hölzernen Anfang und seufzte. Jetzt, entschied sie, ist nicht die Zeit.
    Stattdessen schaute sie aus dem linken Fenster auf die Stadt hinunter. In diesem Abschnitt der Dexter Line, zwischen Ludmead und dem Industriegebiet im Südosten von New Crobuzon, passierten die Züge in etwa den Zenit der

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