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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wollte.
    Er hörte aufmerksam zu. Vielleicht war es eine bemühte Aufmerksamkeit. Er wusste, dass Lin sich manchmal wegen seiner Geistesabwesenheit grämte, wenn er wieder einmal von einem neuen Projekt besessen war. Er bat sie, ihm zu sagen, woran sie arbeitete.
    Natürlich hielt sie sich an das Schweigegebot ihres Arbeitgebers.
    Sie gingen zu Bett, fegten Krümel und Körner beiseite. In Isaacs Armen schlief sie ein.
    Nach dem Aufwachen genoss Lin einige Minuten seine Nähe, bevor sie aufstand und ihm sein Frühstücksbrot röstete. Der Duft lockte ihn aus dem Bett, er trat zu ihr und küsste spielerisch ihren Nacken und Kopfbauch. Sie streichelte mit den Vorderbeinen seine Wangen.
    Musst du heute Vormittag arbeiten?, fragte sie ihn über den Tisch hinweg, während ihre Mandibeln eine Grapefruit zerpflückten.
    Isaac blickte mit schuldbewusster Miene von seinem Brot auf.
    »Hm – ja. Eigentlich schon.« Er kaute angelegentlich.
    Und was ist das für Arbeit?
    »Tja, ich habe all dieses Viechzeug zu Hause, Vögel und so weiter, aber im Grunde genommen ist das doch nur Kinderkram. Du musst dir vorstellen, ich habe Tauben studiert, Rotkehlchen, Falken und Jabber weiß was noch, aber ich habe noch keinen verdammten Garuda aus der Nähe gesehen. Das gedenke ich zu ändern. Ich hab’s vor mir hergeschoben, aber jetzt ist es so weit. Ich gehe nach Spatters.« Sein Mienenspiel verriet, unter welchen Schmerzen er sich zu diesem Entschluss durchgerungen hatte. Er nahm einen großen Bissen, kaute, schluckte und schaute Lin dann von unten herauf an. »Wahrscheinlich … Du hast wahrscheinlich keine Lust mitzukommen?«
    Die Antwort erfolgte prompt. Ich hoffe, dein Angebot ist ernst gemeint, denn ich habe Lust mitzukommen und ich werde mitkommen, wenn du nicht aufpasst. Sogar nach Spatters.
    »Aber natürlich ist es ernst gemeint! Reiß dich los von deinem großen Werk, ich ernenne dich zu meinem Famulus, meinem Außendienstlaborassistenten…« Er redete sich in Begeisterung. »Oder nein, ich habe eine richtige Aufgabe für dich: Heliotypist. Hol deine Kamera. Du brauchst einen freien Tag.«
    Isaac wurde kühner. Er und Lin verließen das Haus zusammen, ohne dass ihm ein Unbehagen anzumerken war. Sie gingen die Shadrach Street entlang, in Richtung der Salacus Fields Station, aber unterwegs verlor Isaac die Geduld und winkte eine Droschke heran. Der behaarte Kutscher kommentierte Lins Anblick mit hochgezogenen Augenbrauen, erhob jedoch keine Einwände. Während er seinem Pferd beruhigend zusprach, bedeutete er Isaac und Lin mit einer Kopfbewegung einzusteigen.
    »Wohin soll’s gehen, Meister?« fragte er.
    »Spatters, wenn’s recht ist.« Isaac verkündete es mit weltmännischem Flair, wie um dadurch für die Zumutung des Fahrtziels zu entschädigen.
    Der Kutscher schaute vom Bock ungläubig zu ihm hinunter. »Sie machen Witze, guter Mann, ich fahre nicht nach Spatters. Ich bringe Sie bis Vaudois Hill, aber weiter nicht. In Spatters kann es passieren, dass sie einem während der Fahrt die Räder vom Wagen klauen.«
    »Gut, gut«, meinte Isaac unwirsch. »Fahren Sie uns, so weit Ihr Mut reicht.«
    Während der Hansom auf den kopfsteingepflasterten Straßen durch Salacus Fields holperte, zupfte Lin Isaac am Ärmel.
    Ist es wirklich gefährlich?, zeigte sie nervös.
    Isaac schaute erst nach hinten, bevor er antwortete, ebenfalls in der Zeichensprache, die er weniger gut beherrschte als Lin, die ihm aber die Möglichkeit gab, ein paar Seitenhiebe auf den Droschkenkutscher anzubringen.
    Gefährlich nicht direkt. Die Leute sind bettelarm. Klauen alles, was sich nicht wehrt, aber schlagen einem nicht gleich den Schädel ein. Dumpflacke da hinten ist ein Angsthase. Liest zu viele … Isaac stockte und runzelte angestrengt nachdenkend die Stirn.
    »Kenne das Zeichen nicht«, brummte er. »Sensation – sensationell … Liest zu viele Sensationsblätter.« Er lehnte sich zurück und schaute aus dem Seitenfenster auf die Skyline von Howl Barrow, die in rhythmischem Auf und Ab draußen vorüberzog.
    Lin war noch nie in Spatters gewesen, sie wusste nur, es war eins der übelst beleumdeten Viertel der Stadt. Vor vierzig Jahren hatte man die Sink Line südwestlich von Lichford verlängert, über Vaudois Hill hinaus bis in den Ausläufer des Rudewood, der im Süden die Stadt begrenzte. Planer und Geldgeber betrieben den Bau von Hochhäusern, nicht die Kolosse des benachbarten Ketch Heath, aber dennoch imposant. Sie eröffneten die

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