Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Bahnstation, Fell Stop, und bauten eine weitere, tiefer im Wald, kaum dass die Trasse gerodet war. Man steigerte sich in Größenwahn, träumte von einer Bahnlinie quer durch den Rudewood, einem Ausbau der Gleise über Hunderte von Meilen nach Süden oder Westen, um New Crobuzon mit Myrshock oder Cobsea zu verbinden.
    Dann versiegte die Geldquelle. Eine Liquiditätskrise, eine geplatzte Spekulation, irgendein Handelsnetz zusammengebrochen unter dem Druck gnadenlosen Wettbewerbs und einer Flut von Billigprodukten, die sich nicht absetzen ließen – und das große Projekt starb noch in den Kinderschuhen. Die Züge hielten weiterhin fahrplanmäßig in Fell Stop und warteten ein paar sinnlose Minuten, ehe sie in die Stadt zurückfuhren. Der Rudewood eroberte das Gelände südlich der leeren Bauhülsen zurück, verschlang die namenlos gebliebene Station und die rostenden Schienen.
    Ein paar Jahre lang warteten die Züge in Fell Stop leer und still. Bis irgendwann, nach und nach, Passagiere auftauchten.
    Die leeren Integumente der einst groß gedachten Gebäude füllten sich. Verarmte Landbevölkerung aus Grain Spiral und von den Ausläufern der Mendicans sickerte in das verlassene Viertel ein. Die Botschaft erging, dies wäre eine Geisterstadt, außerhalb des Einflussbereichs des Parlaments, wo es Steuern und Gesetze so wenig gab wie eine Kanalisation. Aus gestohlenen Balken und Brettern entstand Wohnraum in den leeren Stockwerken der Hochhäuser. Längs der Ränder tot geborener Straßen schwärten über Nacht Barracken aus Betonbruch und rostigem Eisen. Besiedelung breitete sich aus wie Schimmel. Keine Gaslaternen gegen das Dunkel der Nacht, keine Ärzte, keine Jobs, dennoch war innerhalb eines Jahres das ganze Gebiet übersät von armseligen Behausungen. Auch einen Namen hatte das Viertel bekommen, Spatters, der die lasche Planlosigkeit seiner Umrisse widerspiegelte: Der ganze stinkende Slum schien wie Scheiße vom Himmel gekleckert zu sein.
    Spatters lag außerhalb der Reichweite von städtischen Behörden und Verwaltungsorganen. Es existierte eine prekäre alternative Infrastruktur: ein selbst gestricktes Netz von Postboten, Müllwerkern, sogar eine Art Gesetz. Aber diese Systeme waren bestenfalls ineffizient und Stückwerk. Im Regelfall verirrten sich weder die Miliz noch sonst jemand nach Spatters. Die einzigen Besucher von außerhalb waren die fahrplanmäßigen Züge, die in der überraschend sauber gehaltenen Fell Stop Station hielten, und die maskierten Schlägertrupps, die hin und wieder nachts auftauchten, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Besonders die Straßenkinder von Spatters waren der zügellosen Barbarei der Todesschwadronen ausgeliefert.
    Die Slumbewohner aus Dog Fenn und sogar Badside erachteten Spatters für unter ihrem Niveau. Es war einfach nicht Teil der Stadt, weiter nichts als ein unmanierliches kleines Anhängsel, das sich festgesetzt hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es gab kein Geld, um Industrie anzulocken, weder legal, noch schwarz. Die Kriminalität in Spatters beschränkte sich auf geringfügige Straftaten, begangen aus schierer Not und Verzweiflung.
    Doch Spatters hatte noch etwas anderes zu bieten, eine Besonderheit, deretwegen Isaac sich veranlasst sah, diesen verrufenen Ort zu besuchen: Seit dreißig Jahren etwa war es New Crobuzons Garuda-Ghetto.
    Lin schaute zu den kolossalen Wohntürmen von Ketch Heath. Winzige Flügelwesen tummelten sich in den Aufwinden, die sie erzeugten. Wyrmen, und, vielleicht, einige Garuda. Die Droschke rollte unter der Trosse hindurch, die sich in anmutigem Bogen aus dem Milizturm in der Nähe der Hochhäuser schwang, und hielt an.
    »Okay, Chef, hier ist Endstation«, verkündete der Kutscher.
    Isaac und Lin stiegen aus. Auf der einen Seite der Droschke befand sich eine Zeile adretter weißer Einfamilienhäuser, jedes mit Vorgärtchen, bis auf wenige Ausnahmen penibel gepflegt. Den Straßenrand säumten struppige Feigenbäume. Damit korrespondierend erstreckte sich auf der gegenüberliegenden Seite ein vielleicht 300 Meter breites, neben der Straße steil abfallendes Parkgelände als eine Art Niemandsland zwischen den gepflegten Häusern von Vaudois Hill, in denen leitende Angestellte und Ärzte und Anwälte wohnten, und dem Chaos des Zerfalls am Fuß des Hanges: Spatters.
    »Kein Wunder, dass Spatters nicht sehr weit oben auf der allgemeinen Beliebtheitsskala steht«, meinte Isaac halblaut. »Es hat den netten Leuten hier oben den unverbaubaren

Weitere Kostenlose Bücher