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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Winde das Meer in seinen Flusslauf peitschten; als Schauspieler stand er auf der Bühne und hatte seinen Text vergessen.
    Mein Gehirn ist ein Kessel, dachte Isaac, und all diese Träume brodeln über den Rand.
    Der Bilderreigen wurde schneller und greller. Wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammerte Isaac sich an diesen Reim, benutzte ihn als Zauberformel, als Apotropäum, schneller und schneller und greller und greller und schneller, um sich gegen die Sturzflut psychischer Effluenzen zu behaupten.
    Vergeblich. Die Träume waren in Isaacs Hirn und es gab kein Entrinnen. Er träumte, dass er anderer Leute Träume träumte und stellte fest, er träumte wahr.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als um keinen Preis jemals aus den Augen zu verlieren, welcher Traum von den unzähligen ihm gehörte.
     
    Lautes, aufgeregtes Vogelzwitschern ganz in der Nähe. Es flocht sich in einen Strang der Bilder, die durch Isaacs Kopf spulten, und schwoll an, bis es alles andere dominierte.
    Die Träume endeten wie abgeschnitten.
    Isaac schlug zu schnell die Augen auf und fluchte, weil die Helligkeit einen stechenden Schmerz durch seinen Kopf sandte. Er hob die Hand, die wie eine weiche, schlaffe Flosse gegen seine Wange schlenkerte. Er legte sie schwer über die Augen.
    Die Träume hatten aufgehört. Isaac lugte vorsichtig zwischen den gespreizten Fingern hindurch. Es war Tag. Es war hell.
    »Bei – Jabbers – Arsch …«, flüsterte er. Die Anstrengung verursachte ihm Schädelgrimmen.
    Absurd! Er hatte kein Gefühl verlorener Zeit. Er konnte sich glasklar an alles erinnern. Im Gegenteil, das eben Erlebte hatte sich ihm besonders deutlich eingeprägt. Nach seinem Gefühl hatte er vielleicht eine halbe Stunde unter dem Einfluss der Droge geächzt und geschwitzt und gewühlt, nicht länger. Und trotzdem war es – unter bleischweren Lidern blinzelte er zur Uhr – halb acht in der Frühe und Stunden her, seit er sich mit letzter Kraft auf sein Bett gezogen hatte.
    Auf die Ellenbogen gestützt, machte er eine Bestandsaufnahme. Seine dunkle Haut war schweißbedeckt und grau. Sein Atem stank. Es schien, dass er sich während der ganzen Nacht kaum gerührt hatte: Die Laken waren ein wenig verzogen, weiter nichts.
    Das angstvolle Gezwitscher, das ihn geweckt hatte, setzte wieder ein. Isaac schüttelte irritiert den Kopf und hielt nach der Quelle Ausschau. Ein kleiner Vogel kreiste in Panik unter dem Dach des Lagerhauses, einer der zu spät Entschlossenen der Befreiungsaktion des gestrigen Abends, ein Zaunkönig. Als Isaac sich umschaute, was das Tierchen beunruhigen könnte, schoss der geschmeidige Schlangenleib einer Aspis quer durch die Halle und schnappte en passant den kleinen Vogel aus der Luft. Das Zwitschern brach ab.
    Isaac rollte sich verkatert aus dem Bett und stolperte verwirrt im Kreis herum. »Aufschreiben«, brabbelte er. »Alles aufschreiben.«
    Er raffte Papier und Stift vom Schreibtisch und fing an, seine Erinnerungen an den Drogenrausch zu notieren.
    »Was zum Teufel ist das für Zeug?«, brummte er beim Schreiben vor sich hin. »Irgendein Dunkelmann hat den Dreh raus, wie man die Biochymie des Träumens reproduziert oder anzapft …« Er rieb sich die Schläfen. »Gütiger, was ist das für ein Vieh, das diesen Stoff frisst …« Isaac stand auf und warf einen Blick auf seine Raupe.
    Er erstarrte. Sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen, und es dauerte eine Weile, bis er ein paar Worte herausbrachte.
    »Ach. Du. Meine. Fresse!«
    Fast widerwillig setzte er sich in Bewegung, als hätte er Angst zu sehen, was er sah.
    Im Innern des kleinen Kastens wand sich unbehaglich ein kolossales pfauenbuntes Raupenungetüm. Isaac beugte sich erschüttert über seinen aus den Fugen geratenen Pflegling. Er spürte die seltsamen kleinen Vibrationen fremdartiger Frustration in der Umgebung des Käfigs.
    Die Raupe hatte über Nacht ihre Größe mindestens verdreifacht. Sie war jetzt dreißig Zentimeter lang und entsprechend dick. Ihre verblasste Farbenpracht leuchtete in alter Frische, wenn nicht schöner. Die klebrig aussehenden Haare an ihrem hinteren Ende waren jetzt ungemütlich aussehende Borsten. Sie hatte in dem Kasten an allen Seiten nur noch wenige Fingerbreit Platz und stemmte sich schwächlich gegen die Wände aus Holzbrettchen.
    »Was ist denn mit dir passiert?«, hauchte Isaac.
    Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück und musterte ratlos staunend die aufgedunsene Kreatur. Die Pillen fielen

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