Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
namenlos zwischen den harten, zerklüfteten Bergen, später wurde es der Tar. Weit im Westen sah ich die wintrigen Gipfel wirklicher Berge, Kolosse aus Fels und Schnee, die genauso gebieterisch über den näheren Klippen aus Geröll und Flechten aufragten, wie jene über mir.
    Manchmal deuchte mir, die Felsen wären ragende Gestalten mit Krallen und Fängen und Köpfen. Versteinerte Riesen, reglose Steingötter – Sinnestäuschungen oder des Windes Zufallswerke.
    Ich blieb nicht unbemerkt. Ziegen und Schafe verhöhnten meinen stolpernden Gang. Kreisende Raubvögel schrien ihre Verachtung zu mir hinab. Manchmal begegnete ich Hirten, die mich anstarrten, misstrauisch und ohne Freundlichkeit.
    Dunklere Gestalten in der Tiefe der Nacht. Kältere Wächter in der Tiefe des Wassers.
    Die Steinzähne durchbrachen die Erde so mählich und verstohlen, dass ich ihrer erst inne wurde, als ich schon Stunden durch jenes tief eingefurchte Tal wanderte. Davor Tage und Tage mit Gras und Buschwerk.
    Die Erde war erholsam für meine Füße und der schwere Himmel erholsam für mein Auge. Doch ich ließ mich nicht foppen. Ich ließ mich nicht verführen. Es war nicht der Himmel über der Wüste. Er war Lüge, Ersatz, der versuchte, mich einzulullen. Mit jedem Windschwall streichelte mich sonnendürre Vegetation, bei weitem üppiger als in meiner Heimat. In der Ferne lag der Wald, von dem ich wusste, dass er sich im Norden bis zum Rand von New Crobuzon erstreckte, im Osten bis zum Meer. An verborgenen Plätzen im Dicht an Dicht der mächtigen Bäume lauerten riesige, geheimnisvolle, vergessene Maschinen, Kolben und Getriebe, eiserne Stämme inmitten derer aus Holz, Rost als Rinde.
    Ich hielt mich fern davon.
    Hinter mir, wo der Fluss sich gabelte, lagen Marschen, ein ziellos sich verästelndes Binnendelta, das versprach, unbestimmt, sich ins Meer aufzulösen. Dort war ich eine Weile in den Pfahlhäusern der Stiltspear zu Gast, eines stillen, friedfertigen Volkes. Sie gaben mir zu essen und sangen mir beruhigende Schlaflieder. Ich jagte mit ihnen, speerte Kaimane und Anakondas. Es geschah in den Sümpfen, dass ich meines Schwerts verlustig ging. Die Klinge brach im Fleisch eines flinken, Blut saugenden Räubers, der sich plötzlich aus dem Morast und Röhricht vor mir aufbäumte. Sich emporreckte, pfiff wie ein Wasserkessel und wieder versank. Ich weiß nicht, ob er starb.
    Vor dem Sumpfland und dem Fluss waren Tage mit trockenem Gras und Hügeln, die, warnte man mich, von Banden räuberischer Remade unsicher gemacht würden, die vor dem Gesetz geflohen waren. Ich sah keine.
    Es gab Dörfer, die mir Fleisch und Gewänder schenkten und mich anflehten, bei ihren Erntegöttern Fürsprech zu sein. Es gab Dörfer, die mich vertrieben mit Piken und Flinten und Posaunen. Ich teilte die Steppe mit Herden und gelegentlich mit Reitern, mit Vögeln, die mir Vettern waren, und mit Getier, von dem ich geglaubt hatte, es existiere nur in Mythen.
    Ich schlief allein, verborgen in Mulden im Fels oder in Hainen oder in Biwaks, die ich errichtete, wenn ich Regen witterte. Viermal kam etwas zu mir, während ich schlief; es hinterließ einen Geruch nach Kräutern oder Schweiß oder Fleisch.
    Diese weiten Ebenen waren der Ort, wo mein Zorn und mein Elend eine Umwandlung erfuhren.
    Ich ging meines Wegs, begleitet von maßvollen Insekten, die meine fremdartigen Ausdünstungen erforschten, versuchten, meinen Schweiß zu trinken, mein Blut zu schmecken, die farbigen Flecken auf meinem Umhang zu bestäuben. Ich sah feiste Säugetiere in dem satten Grün. Ich pflückte Blumen, die ich nur aus Büchern kannte, langstielige Blüten von pastellener Färbung, wie durch einen dünnen Rauchschleier gesehen. Ich konnte kaum atmen vom Duft der Bäume. Der Himmel war übersät mit Wolken.
    Ich wanderte, Sohn der Wüste, durch dieses fruchtbare Land. Ich fühlte mich rau und staubig.
    Eines Tages erkannte ich, dass ich nicht länger davon träumte, was ich tun würde, wenn ich erst wieder ganz war. Das zu erreichen drängte mich mein Wille, und danach – nichts. Ich bestand aus nichts mehr als einzig dem Verlangen zu fliegen. Ich hatte mich angepasst, irgendwie. Ich hatte mich verändert in der Fremde, auf dem Weg dorthin, wo die besten Wissenschaftler und besten Remaker der ganzen Welt sich ein Stelldichein geben. Das Ziel war das Ende. Wenn ich wieder Flügel hatte, würde ich ein anderer sein, ohne das Verlangen, welches mich ausmachte.
    Ich erkannte in jenem

Weitere Kostenlose Bücher