Perdido Street Station 02 - Der Weber
Wild.
Yagharek stieß den Schrei einer Krähe aus und zeigte mit dem Messer.
Hinter den Milizsoldaten, auf dem Stück Flachdach, das sie hinter sich gelassen hatten, löste sich eine vermummte Gestalt aus irgendeinem Schatten, tauchte auf wie ein Eidolon, manifestierte sich wie aus dem Nichts.
Ein Schimmer Flaschengrün von seinem wehenden Umhang.
Etwas in der ausgestreckten Hand des Fremden spuckte Blitz und Donner, drei-, vier-, fünfmal. Auf halber Höhe sah Isaac einen Soldaten sich zurückbeugen und in einer hässlichen organischen Kaskade in die Tiefe fallen. Während er sich zu Tode stürzte, taumelten zwei seiner Kameraden und brachen zusammen. Einer war sofort tot, um seinen Körper bildete sich eine von Regen verdünnte Blutlache. Der andere rollte grässlich schreiend ein Stück, blieb liegen und krallte die Hände in den blutigen Brustharnisch.
Isaac war einen Moment lang wie gelähmt.
»Wer zum Seibeiuns ist das?«, schrie er. »Was hat das zu bedeuten, verdammt noch mal?« Unten hatte ihr schattenhafter Wohltäter sich in einen Teich aus Schwärze zurückgezogen. Er schien mit seiner Pistole zu hantieren.
Der Angriff der Miliz geriet ins Stocken. Befehle wurden geblafft, knapp, unverständlich. Die Soldaten waren unübersehbar verwirrt und ängstlich.
Derkhan starrte in die Dunkelheit, auf ihrem Gesicht spiegelten sich Staunen und Hoffnung.
»Die Götter mögen dich segnen!«, rief sie nach unten. Sie feuerte wieder mit der linken Pistole, aber die Kugel bohrte sich harmlos in eine Ziegelmauer.
Zehn Meter unter ihnen schrie der Verwundete immer noch. Er fummelte an seinem Visier, bemühte sich vergeblich, es abzureißen.
Die Einheit teilte sich. Ein Mann schob sich in die Deckung eines Mauervorsprungs, nahm die Flinte an die Schulter und zielte in die Dunkelheit, wo der Neuankömmling verschwunden war – Feuerschutz für vier seiner Kameraden, die wieder nach unten stiegen, um den Störenfried unschädlich zu machen. Die anderen kletterten weiter nach oben, doppelt so schnell wie vorher.
Während die beiden kleinen Gruppen sich auf den nassen Schieferpfannen nach oben beziehungsweise nach unten tasteten, trat die dunkle Gestalt wieder aus dem Schatten und feuerte in rascher Folge mehrmals hintereinander.
Er hat eine Art Repetierpistole, dachte Isaac staunend und prallte zurück, als fast zum Greifen nahe unter ihm zwei weitere Soldaten aus der Deckung auffuhren und schreiend, mit Armen und Beinen rudernd, die Dachschräge hinunterrollten.
Isaac wurde bewusst, dass der Mann unter ihnen nicht auf die Soldaten feuerte, die ihm ans Leder wollten, sondern sich darauf konzentrierte, die kleine Plattform zu schützen, indem er die vordersten Kletterer mit meisterhafter Treffsicherheit herunterholte.
Oben wie unten auf dem Dach erstarrten die Männer bei der Salve, doch als Isaac nachschaute, sah er, dass die zweite Gruppe am Fuß der Schräge angekommen war und – wenn auch ziemlich ungeordnet – gegen den fremden Schützen vorrückte.
Isaac und seine Gefährten befanden sich mittlerweile ernsthaft in Bedrängnis, die Milizzer waren bis auf drei Meter herangekommen. Isaac feuerte wieder, und die Kugel traf einen Mann an der Brust, sodass der Schlag ihm den Atem raubte, prallte aber an dem Harnisch ab. Derkhan feuerte, und der Scharfschütze, der auf den Fremden gezielt hatte, ließ mit einem gellenden Fluch die Büchse fallen, die polternd zu Tal rutschte. Isaac lud in fliegender Hast seine Pistole nach, dabei warf er einen raschen Blick auf seine Krisismaschine und sah, dass Andrej zusammengekrümmt am Fuß der hohen Mauer lag. Er zitterte am ganzen Leib, Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln und über das Kinn. Isaacs Schläfen pochten im Takt zu einem unhörbaren Dröhnen von dem Geysir wabernder mentaler Wellen. Er richtete den Blick zum Himmel. Kommt schon, dachte er. Kommt schon, kommt. Während er mit Kugelbeutel und Pulverflasche hantierte, schaute er wieder nach unten und versuchte, den Fremden zu erspähen.
Fast schrie er auf in Angst um ihren anonymen Helfer, als vier bullige und schwer bewaffnete Milizzer auf den Bereich tiefer Dunkelheit zuliefen, wo er sich verborgen hielt.
Etwas bewegte sich dort, setzte behände von Schatten zu Schatten, zog das Feuer der Miliz auf sich. Eine spärliche Salve knatterte und die Flinten der vier Soldaten waren leer geschossen. Als sie sich auf ein Knie niederließen, um nachzuladen, trat die vermummte Gestalt aus dem schützenden Dunkel und
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