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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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unverkennbare Witterung seiner eigenen Art zu ihm herauf. Er taumelte in der Luft – eins, zwei, drei tote Geschwister, alle seine Geschwister tot, das Innerste nach außen gekehrt, verstümmelt, leblos.
    Der Gierfalter war außer sich. Er winselte in Ultraschallfrequenzen und kreiselte aerobatisch, stieß abgerissene Laute aus, lotete mit unhörbaren Rufen den Himmel nach Artgenossen aus, tastete sich mit seinen Fühlern durch trübe Schichten der Wahrnehmung, scharrte empathisch nach der geringsten Spur einer Antwort.
    Er war vollkommen allein.
    Mit brausenden Flügelschlägen peitschte er sich davon, weg von diesem Ort des Todes, wo seine Bruderschwestern verstümmelt lagen, weg von der Erinnerung an jenes unvergleichliche Aroma, weg von den scharfen Krallen des Webers und den feisten Luftschiffen, die Jagd auf ihn machten.
    Angstvoll, verstört und einsam ergriff der Gierfalter die Flucht und suchte nach einem Ort, um sich zu verbergen.

 
KAPITEL 18
     
     
    Die demoralisierten Soldaten ermannten sich so weit, dass sie es wagten, über die Dachkante hinweg auf Isaacs und Derkhans und Yaghareks Füße zu schielen. Sie waren vorsichtig geworden.
    Drei Kugeln kamen in schneller Folge zu ihnen hinuntergeflogen. Eine davon schickte einen Soldaten in die Dunkelheit neben dem Dach; vier Stockwerke tiefer brach er durch ein Fenster. Die anderen beiden wühlten sich in Verputz und Backstein und überschütteten die Umgebung mit einem Splitterhagel.
    Isaac legte den Kopf in den Nacken. Eine schattenhafte Gestalt beugte sich von einem Sims zehn Meter über ihnen.
    »Gotteshand schon wieder!«, rief er. »Wie ist er da raufgekommen? Was macht er?«
    Derkhan zuckte schroff die Schultern. »Komm«, sagte sie, »wir müssen weg hier.«
    Immer noch kauerten die Milizzer unmittelbar unter ihnen. Sobald einer sich aufrichtete und über den Rand spähte, jagte ein gezielter Schuss ihn wieder in Deckung. Gotteshand hielt die Angreifer in Schach. Ein- oder zweimal wurde sein Feuer erwidert, doch es waren halbherzige, mutlose Versuche.
    Auf dem Plateau am Fuß der mit Gauben besetzten Dachschräge sammelten sich die Entsatztruppen, die mittels einer in ihre Rüstung integrierten Klaue an den schlenkernden Seilen herabgeglitten waren. Die Seile selbst rollten von Flaschenzügen ab.
    »Er verschafft uns eine Galgenfrist, die Götter wissen warum«, zischte Derkhan. Sie stolperte zu Isaac hin und griff nach seinem Arm. »Wer weiß, wie lange seine Munition noch reicht. Das da«, sie wedelte mit der Hand geringschätzig zu den geduckten Milizzern hin, »das sind nur die hiesigen Plattfüßler vom Dienst auf Dachstreife. Die Hundesöhne aus dem Luftschiff, das ist ein anderes Kaliber. Wir dürfen hier nicht länger bleiben.«
    Isaac schaute nach unten und tat einen unschlüssigen Schritt auf die Kante zu, doch an allen Seiten waren lauernde Soldaten zu sehen, und als er sich bewegte, schlugen rings um ihn Kugeln ein. Er schrie entsetzt auf, bis er merkte, dass es Gotteshand war, der versuchte, ihm den Weg freizuschießen.
    Doch es nützte nichts. Die Miliz hatte ausreichend Deckung und konnte es sich leisten abzuwarten.
    »Verdammte Scheiße!«, fauchte Isaac. Er bückte sich und zog einen Stecker aus Andrejs Helm, damit unterbrach er die Verbindung zu dem Konstrukt Konzil, der sich immer noch bemühte, den Rücklaufhemmer zu umgehen und Kontrolle über die Krisismaschine zu gewinnen. Isaac riss den Draht heraus, und ein verheerender Schwall aus Rückkopplung und umgeleiteter Energie raste in das Gehirn des Konzils.
    »Pack den Kram zusammen.« Er winkte Yagharek und zeigte auf die herumstehenden Geräte, besudelt mit Falterblut und saurem Regen. Der Garuda kniete sich hin und fing an, das Sammelsurium in dem Sack zu verstauen.
    »Weber«, sagte Isaac dann in beschwörendem Ton und stolperte zu ihrem außergewöhnlichen Verbündeten hinüber, dabei schaute er immer wieder über die Schulter, ob irgendein lebensmüder Milizzer vielleicht aus der Deckung schnellte, um aufs Geratewohl einen Schuss auf ihn abzugeben. Man hörte unten durch das Regenprasseln schweren, metallisch knirschenden Marschtritt näher kommen.
    »Weber!« Isaac schlug vor dem gigantischen Arachniden stehend, die Hände zusammen. Die Augenkonstellationen des Webers wandten sich ihm zu. Er trug immer noch den Helm, der ihn mit dem toten Andrej verband, und wühlte in Gierfaltergekröse. Isaac warf einen kurzen Blick auf die übereinander liegenden, riesigen Kadaver.

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