Perdido Street Station 02 - Der Weber
zurückgleiten.
Er hörte einen grauenhaften Schrei.
Sturzbachartig kehrte die Erinnerung zurück und ihm wurde bewusst, wo er sich befand und wie er dorthin gekommen war, getragen von den Armen des Webers (er zappelte und zuckte, als ihm die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit wieder einfielen).
Der Weber tanzte leichtfüßig über das Weltnetz, balancierte auf metarealen Filamenten, die jeden einzelnen Augenblick mit jedem einzelnen anderen verknüpften.
Isaac erinnerte sich an den Schwindel seiner Seele angesichts der Unendlichkeit, als er den ersten Blick auf das Weltnetz gewagt hatte. Er erinnerte sich an das Grauen bei dem allem Begreifen spottenden Vista, das ihn bis in die Grundfesten seiner Existenz erschüttert hatte. Er zwang sich, die Augen geschlossen zu halten.
Er hörte Yaghareks Murmeln und Derkhans halblaute Flüche. Sie erreichten ihn nicht als Geräusche, sondern als schwebende Spinnwebfäden, die in seinen Schädel wehten und sich entschlüsselten. Da war noch eine andere Stimme, ein schartiger Missklang greller Farben, die in namenlosem Entsetzen kreischte.
Er fragte sich, wer das wohl sein mochte.
Der Weber lief behände über wippende Fäden, an dem Schaden oder möglichen Schaden entlang, den die Falter angerichtet hatten und möglicherweise wieder anrichten würden. Der Weber verschwand in einem Loch, einem halbdunklen Verbindungstunnel, der sich durch das Gewebe der vielfältigen Dimensionen wand und wieder in der Stadt mündete.
Isaac spürte einen Luftzug an der Wange, Holz unter sich. Er schlug die Augen auf.
Sein Kopf tat weh. Wackelte, als er ihn hob, um sich umzuschauen, bis sein Hals das Gewicht des Helms ausbalanciert hatte, den er immer noch trug und dessen Spiegel wunderbarerweise unbeschädigt geblieben waren.
Er lag in einem breiten Streifen Mondlicht in einer staubigen kleinen Bodenkammer. Geräusche drangen durch Bretterboden und -wände.
Derkhan und Yagharek richteten sich vorsichtig auf und schüttelten den Kopf. Isaac sah, wie Derkhan rasch die Hand hob und sich behutsam rechts und links an den Kopf griff. Ihr übriges Ohr – und seins, wie er sich prompt vergewisserte – befand sich noch an Ort und Stelle.
Der Weber kauerte massig in einer Ecke des Raums. Er ruckte ein Stück nach vorn, und hinter ihm entdeckte Isaac einen Milizsoldaten. Der Mann wirkte halb betäubt. Er saß, zitternd wie Espenlaub, auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt; das glatte Visier hing schief vor seinem Gesicht und drohte herunterzufallen. Die Flinte lag quer über seinem Schoß. Isaac musste zweimal hinschauen.
Sie war aus Glas. Das detailgetreue, doch unnütze Modell eines Steinschlossgewehrs aus Glas.
… DIESE GLAUBT ER HEIMSTATT DES FLIEHENDEN VON WEIT HER GERAUBTEN …, raunte der Weber. Seine Stimme klang wieder gedämpft, als hätte die Reise durch die Dimensionen des Netzes an seinen Kräften gezehrt … SEHT MEINEN SPIEGELGLASMANN MEINEN SPIELGESELLEN MEINEN FREUNDLING ER UND ICH WERDEN DIE ZEIT VERTREIBEN DIES IST DER RUHEPLATZ DES VAMPIRFALTERS DIES IST WO ER SICH VERBIRGT UM WIEDER ZU SPEISEN ICH WILL IX UND NIX UND DREI QUER SPIELEN MIT MEINEM GLASFLINTENSCHÜTZEN …
Er schob sich in die Zimmerecke, ruckartig, mit einem jähen Einknicken seiner Beine. Eine seiner Machetenhände flimmerte wie Elyktrizität, bewegte sich unglaublich schnell, ritzte ein aus drei mal drei Quadraten bestehendes Gitter in die Dielen, vor dem Schoß des komatösen Soldaten.
Der Weber kratzte ein Kreuz in ein Eckquadrat, dann lehnte er sich zurück und flüsterte, während er wartete, leise vor sich hin.
Isaac, Derkhan und Yagharek trafen sich in der Mitte der Bodenkammer.
»Ich dachte, er würde uns an einen sicheren Ort bringen«, murrte Isaac, »stattdessen ist er dem verdammten Falter gefolgt … Das Vieh muss hier sein, irgendwo …«
»Wir müssen ihm den Garaus machen«, sagte Derkhan mit einer Miene, die keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen ließ. »Wir haben die anderen alle erwischt. Bringen wir die Sache zu Ende.«
»Ja, womit denn?«, fauchte Isaac. »Wir haben die bescheuerten Helme noch und das war’s. Wir haben keine Waffen, mit denen wir gegen das Biest was ausrichten könnten. Wir haben nicht mal eine Ahnung, wo wir überhaupt sind …«
»Wir müssen den Weber überreden, dass er uns hilft«, sagte Derkhan.
Aber ihre Versuche waren absolut fruchtlos. Der gigantische Arachnide ignorierte sie vollkommen, murmelte selbstvergessen vor sich
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