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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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hin und schien gespannt zu warten, offenbar darauf, dass der traumatisierte Milizsoldat seinen Zug machte. Isaac und die anderen beschworen den Weber, flehten ihn an zu helfen, aber sie schienen für ihn plötzlich unsichtbar geworden zu sein. Enttäuscht wandten sie sich ab.
    »Wir müssen hier raus«, sagte Derkhan heftig. Isaac begegnete ihrem Blick und nickte. Er trat ans Fenster und schaute hinaus.
    »Keine Ahnung, wo wir sind«, meinte er nach einer Weile. »Man sieht nur Straßen.« Er reckte den Hals, hielt nach irgendeinem Orientierungspunkt Ausschau. Endlich wandte er sich wieder ins Zimmer und schüttelte den Kopf. »Du hast Recht, Dee«, sagte er. »Wir können nicht hier drin bleiben. Vielleicht finden wir – irgendwas. Wenigstens einen Weg nach draußen.«
     
    Yagharek trat geräuschlos aus der kleinen Kammer in einen schummrigen Flur. Er schaute aufmerksam nach beiden Seiten.
    Die Mauer links schloss mit dem Dach ab, rechter Hand gab es zwei Türen, bevor der Gang eine Biegung machte und man nicht sehen konnte, wie es weiterging.
    Yagharek verharrte in geduckter Haltung. Er winkte ohne sich umzuschauen nach hinten, und Isaac und Derkhan kamen zum Vorschein. Sie trugen ihre Pistolen – mit dem Rest Pulver geladen, feucht und unzuverlässig – und zielten damit vor sich in die Dunkelheit.
    Sie warteten, während Yagharek weiter den Flur hinunterschlich, dann folgten sie ihm, zögernd, wachsam.
    Yagharek blieb an der ersten Tür stehen und legte den gefiederten Kopf dagegen, um zu lauschen. Er wartete einen Moment, dann schob er sie auf, langsam, zentimeterweise. Derkhan und Isaac spähten an ihm vorbei in einen dunklen Abstellraum.
    »Irgendwas Brauchbares?«, fragte Isaac flüsternd, aber da waren nur leere Regale und trockene, staubige Flaschen und ein paar alte, steinharte Pinsel.
    Bei der zweiten Tür angekommen, verfuhr Yagharek in der gleichen Weise, winkte Isaac und Derkhan, still zu sein, und lauschte. Diesmal dauerte es erheblich länger. Die Tür war mehrfach gesichert und Yagharek probierte die einfachen Querriegel. Es gab ein schweres Vorhängeschloss, doch es lag offen auf einem der Riegel, wie achtlos dort für einen Moment deponiert. Yagharek drückte gegen die Tür. Er schob den Kopf durch den entstehenden Spalt und blieb so stehen, halb drinnen, halb draußen. Lange. Beunruhigend lange.
    Endlich richtete er sich auf und drehte sich um.
    »Isaac«, sagte er ruhig, »du musst kommen.«
    Stirnrunzelnd folgte Isaac der Aufforderung, sein Herz schlug schnell und laut.
    Was ist denn los?, dachte er. Weshalb ruft er mich? Eine Stimme aus den tiefsten Tiefen seines Unterbewusstseins antwortete und flüsterte ihm zu, was ihn erwartete, doch er schenkte ihr kein Gehör, stellte sich taub, aus Angst, er könnte sich irren.
    Er schob sich an Yagharek vorbei und trat beinahe ängstlich durch die Tür in den Raum dahinter.
    Es war ein großer, rechteckiger Speicher, erleuchtet von drei Öllampen und den dünnen Schwaden Gaslicht, die ihren Weg von der Straße herauf und durch das schmierige, verschlossene Fenster fanden. Der Fußboden war übersät von Metallklüngel und allem möglichen Abfall. Es stank.
    All das nahm Isaac nur nebenbei zur Kenntnis.
    In einer halbdunklen Ecke, von der Tür abgewandt, pflichtbewusst kauend, Rücken und Kopf und Speidrüse an eine wunderlich groteske Skulptur geheftet, kniete Lin.
     
    Isaac brüllte.
    Es war ein unartikuliertes, tierhaftes Geheul und wurde lauter und lauter, bis Yagharek ihn warnend anzischte, doch vergeblich.
    Lin fuhr erschreckt herum. Sie erblickte Isaac und begann am ganzen Leib zu zittern.
    Er stürzte zu ihr hin, weinte vor Glück, sie wiederzusehen, ihre rote Haut und den nickenden Kopfkäfer, dann aber, als er näher kam, schrie er wieder, diesmal vor Betroffenheit, als er erkennen konnte, was man ihr angetan hatte.
    Ihr Körper war von Schlägen gezeichnet und übersät mit Brandwunden, Schrammen, Striemen, die auf Misshandlungen und systematische Folter hinwiesen. Man hatte sie mit Ruten auf den Rücken geschlagen, durch das zerfetzte Unterhemd, dünne Striemen liefen kreuz und quer über ihre Brüste. An Bauch und Schenkeln hatte sie schwere Blutergüsse.
    Doch es war der Anblick ihres Kopfes, des Kopfkäfers, der ihm fast das Herz brach.
    Man hatte ihr die Flügel ausgerissen, das wusste er seit dem von Lucky Gazid überbrachten Umschlag, aber es zu sehen – zu sehen, wie die winzigen, ausgefransten Stummel aufgeregt wedelten … Man

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