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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Selbstheilungskräften.
    Unter freiem Himmel hätte er sich in die Lüfte schwingen können, die furchtbar verwundeten Schwingen ausbreiten und aus dieser Dimension fliehen. Er hätte sich zwingen können, höher und höher zu steigen, der Schmerzen nicht achtend und nicht der verkohlten Fetzen Haut und Chitin, die ihn wie ein Lumpengewand umflatterten. Er hätte sich in den feuchten Wolken gewälzt, die Flammen erstickt, Säure abgewaschen.
    Wäre seine Familie noch am Leben gewesen, hätte er die Hoffnung gehabt, wieder mit ihnen gemeinsam zu jagen, wäre er nicht in Panik geraten. Wäre er nicht Zeuge des blutigen Untergangs von seinesgleichen gewesen und hätte mit ansehen müssen, wie ein gewaltiger Geysir giftiger Emanationen seine Brüderschwestern anlockte und dann furchtbar zu Tode brachte, wäre der Falter nicht von Sinnen gewesen vor Zorn und Angst, hätte er sich nicht blindwütig ins Verderben gestürzt.
    Doch er war allein. Vom Himmel getrennt durch Mauerwerk, gefangen in einem engen Bau, der ihn hinderte, sich frei zu bewegen, seine Flügel auszuspannen, ohne Möglichkeit zur Flucht, eingekreist von Schmerzen, grausam, nicht endend. Immer wieder neue Feuerstrahlen, zu schnell aufeinander folgend selbst für ihn, um sich zu heilen.
    Er torkelte den Flur in Vielgestalts Hauptquartier hinunter, ein weiß glühender Feuerball, bis zuletzt mit Krallen und Tentakeln nach Beute schlagend. Schließlich stürzte er am Kopf der nach unten führenden Treppe.
    Vielgestalt und die Remade beobachteten ihn von halber Höhe, beteten, er möge still liegen, möge nicht im Todeskampf über den Rand der Stufe kriechen und flammenzüngelnd auf sie niederstürzen.
    Nichts geschah. Er starb, ohne sich noch einmal geregt zu haben.
     
    Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass der Gierfalter tot war, hieß Vielgestalt Männer und Frauen in langer Kette die Treppe hinauf- und hinuntersteigen, bewaffnet mit nassen Tüchern und Decken, um den Brand zu löschen, den der Gierfalter auf seinem flammenden Weg in den Tod entfacht hatte.
    Es dauerte zwanzig Minuten, bis das letzte Feuernest erstickt war. Balken und Bretter des Dachbodens waren angekohlt und schwarz. In die Dielen eingebrannte riesige Tatzenspuren zogen sich durch die ganze Länge des Flurs. Der schwelende Kadaver des Falters lag oben an der Treppe, von der Hitze zu noch extravaganterer Form verdreht, als sie ihm lebend eigen gewesen war.
    »Grimnebulin und seine Kumpane werden auf und davon sein«, sagte Vielgestalt. »Sucht sie. Findet sie. Spürt sie auf. Heute Nacht. Jetzt.«
    Welchen Weg sie genommen hatten, war leicht festzustellen: durch das Fenster aufs Dach. Von dort jedoch konnten sie sich in so gut wie jede Richtung gewandt haben. Vielgestalts Leute traten von einem Fuß auf den anderen und tauschten unbehagliche Blicke.
    »Bewegt euch, ihr wertloses Gesocks«, tobte Vielgestalt. »Findet sie, bringt sie mir her, ich will sie haben!«
    Verängstigte Trupps von Remade, Menschen, Kaktusleuten und Vodyanoi schwärmten aus und durch die Stadt. Sie machten nutzlose Pläne, verglichen Notizen, eilten nach Sunter, nach Echomire und Ludmead, nach Kelltree und Mog Hill und weiter, den ganzen langen Weg nach Badside, über den Fluss und nach Brock Marsh, nach West Gidd und Griss Fell und Murkside und Saltpetre.
    Tausendmal hätten sie an Isaac und den anderen vorbeilaufen können.
    Es gab unendlich viele Schlupflöcher in New Crobuzon. Verstecke waren zahlreicher vorhanden, als Leute, die sich verstecken wollten. Vielgestalts Handlanger hatten nicht die geringste Chance.
    In Nächten wie jener, wenn Regen und Laternenschein sämtlichen Linien und Ecken der Stadt doppelte Bedeutung verliehen – ein Palimpsest aus windgeschüttelten Bäumen und Häusern und Geräuschen, alten Ruinen, Finsternis, Katakomben, Baustellen, Wirtshäusern, Brachen, aus Lichtern und Kneipen und Kloaken – war sie ein unendlicher, vertrauter und doch fremder, geheimnisvoller Ort.
    Vielgestalts Handlanger kehrten zum Stützpunkt zurück, mit leeren Händen und in großer Angst vor dem Augenblick, wenn sie vor ihn hintreten mussten und den Misserfolg bekennen.
     
    Vielgestalt tobte in maßloser Wut über die Skulptur, die ihn verhöhnte, perfekt, doch unvollendet, ein Torso. Seine Männer durchsuchten jeden Winkel des Gebäudes, auf die Möglichkeit hin, dass irgendetwas übersehen worden war.
    In der hintersten Kammer des Dachbodens entdeckten sie einen einzelnen Milizsoldaten, mit dem

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