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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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und Mörtel in den Himmel. Die Rippen glichen einer skelettierten Krallenhand, die einer entgangenen Beute nach auf ewig in den Himmel griff; der Spike, mitten ins Herz der Stadt gerammt; der komplexe, mechanistische Vortex des Parlaments in seinem schwarz schillernden Luster – Yagharek kartierte sie mit kaltem, strategischem Auge. Er blickte auf und nach Osten, wo die Gleistrosse den Flyside Turm mit dem Spike verband.
    Bei der riesigen Glaskugel im Apex der Kuppel angelangt, brauchte er nur einen Moment, um den großen Riss zu finden, den Lemuel erwähnt hatte. Ein Teil von ihm wunderte sich, dass seine Augen immer noch die eines Raubvogels waren.
    Die Glasplatten unter ihm – der Abstand zwischen der Kuppel und der ihrer Krümmung folgenden Leiter betrug etwas mehr als einen halben Meter – waren trocken und übersät mit den Exkrementen von Vögeln und Wyrmen. Er spähte hindurch, doch außer schattenhaften Andeutungen von Dächern und Straßen konnte er nichts erkennen.
    Er machte sich auf den Weg über das Mosaik aus Glas und Stahl, vorsichtig, prüfte vor jedem Schritt die Festigkeit der Stelle, an die er den Fuß setzen wollte, rutschte, mit ausgestreckten Armen Balance haltend, auf kürzestem Weg zu der nächsten Metallstrebe, an der er Station machen konnte. Ihm wurde bewusst, wie selbstverständlich er sich bewegte. Die vielen Wochen nächtlicher Kletterpartien hinauf zu Isaacs Dach, auf verlassene Türme, die hohen Warten der Stadt. Er kletterte mühelos und ohne Angst. Wie es schien, war er mehr Affe als Vogel.
    Er schlitterte über die schmutzigen Platten bis zu dem letzten Wall aus Trägern, der ihn von dem Spalt im Glas trennte. Nachdem dieser überwunden war, befand sich das Schlupfloch genau vor ihm.
    Als er sich über den Rand beugte, schlug ihm aus der von Lampen erhellten Tiefe eine wahrhaftig treibhausähnliche, feuchte Hitze entgegen. Er machte den Wurfhaken sorgfältig an einer Eisenstrebe fest und zog mehrmals kräftig daran, um sich zu vergewissern, dass er hielt, dann wickelte er sich das Ende des Seils dreimal um die Taille. Er umfasste es dicht unterhalb des Hakens, legte sich über den Träger und schob den Kopf über die gezackte Glaskante in das Innere der Kuppel.
    Es fühlte sich an, als hätte er das Gesicht in eine Schale mit starkem Tee getunkt. Die Luft im Glashaus umspülte ihn schwülwarm, fast erstickend, und geschwängert mit Rauch und Dampf. Sie schuf eine harte, weiße Helligkeit.
    Yagharek blinzelte, bis sein Blick sich geklärt hatte, dann schaute er, die Augen mit der Hand beschirmend, hinunter auf die Kaktusstadt.
     
    Im Zentrum, unter der massiven Glaskugel im Opaion, hatte man die Wohnhäuser abgerissen und einen Tempel errichtet, eine steile Zikkurat aus rotem Stein, ein Drittel so hoch wie die Kuppel selbst. Jede Stufe war üppig bepflanzt mit der Vegetation von Wüste und Steppe: rote und orangene Blüten prangten auf wachsgrünen Sukkulenten.
    Rings um den Fuß des Tempels hatte man einen zehn Meter breiten Streifen planiert, dahinter setzten die Straßen ihren unterbrochenen Verlauf fort. Der Stadtplan war ein ungeordnetes Puzzle, ein Allerlei aus Gassenmündungen und den Torsi von Straßen, hier die Ecke eines Parks und dort eine halbe Kirche, sogar der Stumpf eines Kanals, nun ein Trog abgestandenen Wassers, roh amputiert vom Fußkreis der Kuppel. Gassen durchzogen die kleine Exklave kreuz und quer, mitten herausgestanzt aus längeren Straßen, wo die Kuppel ohne Rücksicht auf Verluste hingesetzt worden war. Ein kleiner, gewachsener Bereich der Stadt war isoliert und unter Glas eingeschlossen worden. Der Inhalt hatte sich verändert, mochten auch die Umrisse im Großen und Ganzen dieselben geblieben sein.
    Das aus einem größeren Zusammenhang ausgeschnittene Kreisrund von Straßensegmenten war von den Kaktusleuten ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechend einer neuen Verwendung zugeführt worden. Wo vor Jahren eine breite Durchgangsstraße gewesen war, zog man jetzt Gemüse bis an die Hausmauern zu beiden Seiten; schmale Fußwege schlängelten sich zwischen Beeten mit Kürbissen und Rettichen von Tür zu Tür.
    Zwischendecken waren schon vier Generationen zuvor entfernt worden, um Menschenhäuser für die neuen, erheblich größeren Bewohner umzugestalten. Man hatte aufgestockt und angebaut, bis die Gebäude aussahen wie kuriose Miniaturausgaben des Stufenturms im Zentrum des Glashauses.
    Jede Lücke und Nische war mit Wohnraum ausgefüllt, um

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