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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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viele Male verbessert worden, diesmal von Kaktustechnikern.
    Der Köpfer war eine ungeschlachte Waffe, zu groß und schwer, als dass ein Mensch sie mühelos handhaben konnte. Er verschoss keine Bolzen oder Kugeln, sondern Tschakras, flache Metallscheiben mit gezähntem oder rasiermesserscharfem Rand, wahlweise auch Metallsterne mit gebogenen Armen. Ein gezacktes Loch in der Mitte des Tschakras passte millimetergenau auf einen kleinen Eisenknopf, der aus der Säule des Bogens ragte. Wurde der Abzug betätigt, schnellte die Sehne mit großer Gewalt nach vorn, mit ihr der Eisenknauf, der zugleich von einem komplizierten Mechanismus im Innern der Säule in rasend schnelle Drehung versetzt wurde. Am Ende der Rinne schnappte der Knopf nach unten und das Tschakra schoss davon, rotierend wie das Blatt einer Kreissäge.
    Der Luftwiderstand zehrte den Schwung verhältnismäßig schnell auf: Das Tschakra hatte nicht annähernd die Fernwirkung eines Langbogens oder einer Feuerwaffe, doch es konnte auf nahezu vierzig Meter den Kopf oder sonstigen Körperteil eines Kaktus abtrennen – oder eines Menschen – und auf weitere Entfernung hin noch hässliche Fleischwunden verursachen.
    Die Kaktusposten blickten finster und schwangen ihre mächtigen Köpfer mit sauertöpfischer Arroganz.
     
    Die letzten Strahlen Tageslicht leuchteten hinter den fernen Berggipfeln hervor. Die Scheiben an der Westfassade des Glashauses glühten wie Rubine.
    Auf einer korrodierten Leiter, die bis zum Scheitelpunkt der Kuppel hinaufführte, tastete eine nur als Silhouette erkennbare menschliche Gestalt sich Sprosse um Sprosse weiter nach oben, erklomm das gewölbte Firmament der Kuppel wie der Mond.
    Diese stählerne Echelle war eine von dreien, die in regelmäßigen Abständen vom Apex der Kuppel herabführten, ursprünglich Begehungshilfen für die Instandhaltungstrupps, die nie erschienen waren. Mit etwas Fantasie sah es aus, als wölbte die Kuppel sich aus dem Erdboden wie der obere Bogen eines gekrümmten Rückens, Indiz für einen riesigen unterirdisch verborgenen Körper. So ritt die Gestalt, ein Mann, auf einem gigantischen Walrücken.
    Er wurde getragen von dem in der Kuppel gefangenen Licht, das über die Unterseite des Glases spielte und das ganze riesige Bauwerk erstrahlen ließ. Er hielt sich geduckt und bewegte sich sehr langsam, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Er hatte den Aufgang an der Nordwestseite des Glashauses gewählt, weil die Züge der Strecke nach Salacus Fields auf der entgegengesetzten Seite dicht an der oberen Hälfte der Kuppel vorbeifuhren. Ansonsten hätte jeder Passagier bei einem Blick aus dem Fenster den Mann entdeckt, der den gläsernen Buckel hinaufkroch.
    Endlich, nach einer etliche Minuten dauernden Kletterpartie, erreichte der Eindringling ein eisernes Süll um den Apex des gewaltigen Gebäudes. Der Schlussstein selbst war eine Kugel aus milchigem Glas von nicht ganz drei Metern Durchmesser. Sie saß lückenlos in der runden Öffnung am Scheitelpunkt der Kuppel, halb drinnen, halb draußen, wie ein riesiger Stöpsel. Der Mann verharrte und ließ zwischen den Spitzen der Stützstreben und den dicken Spanndrähten hindurch den Blick über die unter ihm ausgebreitete Stadt schweifen. Der Wind umtoste und rüttelte ihn, und er klammerte sich von Höhenangst gepackt an die Handgriffe. Er schaute hinauf zu dem dunkelnden Himmel, die Sterne erschienen ihm blass durch die Schwaden geronnenen Lichts, das von unten durch das Glas heraufdrang und ihn umwaberte. Diesem Glas wandte er seine Aufmerksamkeit zu, suchte mit Blicken Scheibe um Scheibe ab.
    Nach einigen Minuten richtete er sich auf und stieg die Leiter wieder hinunter. Abwärts, Fuß unter Fuß, mit ausgestreckten Zehen nach der nächsttieferen Sprosse fühlend, tastete er sich zurück auf festen Boden.
     
    Die Leiter endete drei Meter über dem Boden, das letzte Stück rutschte der Mann am Seil des Wurfhakens hinunter, das er auch zum Aufstieg benutzt hatte. Er kam unten auf und schaute sich um.
    Jemand zischte. »Lem! Hier drüben!«
    Lemuel Girrvogels Begleiter versteckten sich in einer Hausruine am Rand des Trümmergrundstücks, das an die Kuppel grenzte. Isaac war als Schatten in der türlosen Eingangsöffnung erkennbar, er winkte.
    Im Laufschritt überwand Lemuel die freie Fläche, auf der niedriges, dürres Gesträuch stand und Ziegel und Beton von Ackerwinden gesprengt und überwuchert waren. Er kehrte der einsetzenden Abenddämmerung den Rücken und

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