Perdido Street Station 02 - Der Weber
schwarzem Eisen, ein mächtiges, dickstrebiges Skelett. Es wölbte sich über die Dächer von Riverskin hinaus, weithin sichtbar auf der Kuppe des flachen Hügels. In konzentrischen Kreisbögen wuchsen zwei gigantische Gitterarme aus dem Rumpf, fast eine Konkurrenz für die Rippen, stützten die Kuppel und fingen mit mächtigen Streben aus gedrehtem Eisen den enormen Druck ab.
Je größer die Entfernung, desto imposanter wirkte dieses Wahrzeichen New Crobuzons. Von der bewaldeten Kuppe des Flag Hill aus gesehen, über zwei Flussläufe, die Bahnlinien, Himmelstrossen und vier Meilen pittoreske Stadtlandschaft hinweg, blitzten und funkelten die Facetten der Kuppel in reinem Diamantglanz. Von den umliegenden Straßen jedoch konnte man die Vielzahl von Sprüngen und dunklen Stellen erkennen, wo Glas herausgebrochen war. Nur einmal in den drei Jahrhunderten ihrer Existenz war die Kuppel renoviert worden.
Am Fuß des Bauwerks stehend, wurde dem Betrachter am Grad der Verwitterung das Alter der Struktur offenbar. Farbe rollte sich in breiten Zungen von dem Metall, Rost hinterließ Spuren wie Wurmfraß. Auf den ersten zirka fünf Metern vom Boden aus waren die Felder – jedes etwa zweieinhalb Meter im Quadrat in den unteren Reihen, nach oben hin schmaler werdend wie Tortenstücke – mit rostpockigen, lackierten Eisenplatten ausgefüllt. Darüber die Glasscheiben waren schmutzig und schadhaft, ohne erkennbares Muster grün und blau und beige gestrichen. Das Glas war verstärkt und sollte angeblich das Gewicht von zwei ausgewachsenen Kaktusleuten tragen können, gleichwohl waren mehrere Scheiben zerbrochen, die Rahmen leer, und viele andere waren überzogen von einem Netz aus Rissen.
Beim Bau des Glashauses hatte man keine Rücksicht auf die umliegenden Häuser genommen. Die Straßen, die von allen Seiten darauf zuführten, liefen weiter, bis sie den massigen Stahlsockel erreichten. Die zwei, drei Häuser, die im Weg gewesen waren, hatte man abgerissen, dann setzten die Zeilen sich unter dem gläsernen Baldachin fort – die Kaktusleute hatten einfach einen bestehenden Teil des Viertels überbaut.
Im Lauf der Jahrzehnte waren die Bauten im Innern der Kuppel, ursprünglich in Menschenbesitz, den Bedürfnissen der neuen Bewohner entsprechend umgebaut worden; manches hatte man abgerissen und durch fremdartige Architektur ersetzt, aber die ursprüngliche Anordnung sollte erhalten geblieben sein, wurde erzählt, in Grundzügen genau wie vor der Vereinnahmung.
Es gab einen Eingang, an der Südspitze des Bauwerks, von der Yashur Plaza zu betreten. Exakt gegenüber, auf der anderen Seite der Kuppel, befand sich der Ausgang an der Bytrash Street, eine steile Straße zum Fluss hinunter. Nach dem Kaktusgesetz durfte das Glashaus nur durch diese beiden Portale betreten beziehungsweise verlassen werden. Diese Regelung war ein Ärgernis für die Kaktusleute, die draußen in Sichtweite des einen oder anderen Tores wohnten. Zum Beispiel dauerte der Hinweg vielleicht zwei Minuten, aber vom Ausgang zurück nach Hause war es unter Umständen ein langer, beschwerlicher Marsch.
Jeden Morgen um fünf wurden die Tore geöffnet und um Mitternacht wieder geschlossen. Über Sicherheit und Ordnung wachten bewaffnete Türhüter, die schwere Kriegsäxte und die imposante Armbrust der Kaktusleute zur Schau trugen, den »Köpfer«.
Die Haut der Kaktusleute war von der gleichen Beschaffenheit wie die ihrer unbeweglichen, rein vegetativen Vettern. Sie war straff und leicht zu verletzen, heilte aber schnell, wie bei allen Kaktazeen mit wulstigen, hässlichen Narben – die meisten Kaktusleute waren mit harmlosen Ganglien aus Gewebeknoten übersät. Es brauchte zahlreiche Verletzungen oder einen Zufallstreffer in die Organe, um ernsthaften Schaden anzurichten. Kugeln oder Pfeile und erst recht Fäuste waren im Allgemeinen wirkungslos gegen Kaktusleute. Aus diesem Grund trugen ihre Ordnungshüter den Köpfer.
Die ersten Köpfer waren von Menschen entwickelt worden, zum Einsatz kamen sie während der Schreckensherrschaft von Bürgermeister Collodd. Die Wächter – Menschen – der Kaktusfarm des Bürgermeisters waren damit ausgerüstet. Doch nachdem im Einklang mit dem neu erlassenen Toleranzedikt die Farm aufgelöst wurde und man den Kaktusleuten so etwas wie Bürgerrechte zugestand, hatten die pragmatischen Kaktusältesten erkannt, dass diese Waffe ausgezeichnet geeignet sein könnte, die eigenen Leute in Schach zu halten. Seither war die Armbrust
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