Perfect Copy - Die zweite Schöfung
ein breitschultriger Mann in einer beeindruckend aussehenden grauen Uniform, der auch nicht so wirkte, als könne man ihm dumm kommen. Seine Augen funkelten kampfeslustig.
»Pack dein Cello und komm«, sagte Mutter. »Dieser Herr vom Sicherheitsdienst wird dich zum Unterricht fahren.«
»Cellounterricht?«, protestierte Wolfgang. »In den Schulferien? Seit wann das denn?«
Mutter verzog unwillig das Gesicht. »Seit heute.«
»Ihr Vater hat Extrastunden ausgemacht«, erklärte der Mann und verschränkte dabei die Arme hinter dem Rücken. »Zweimal die Woche. Ich habe den Auftrag, Sie, ähm, abz u schirmen.«
»Aber ich habe heute doch schon vier Stunden lang geübt! Mein Arm ist der reinste –«
»Wolfgang!«
Er ließ die Schultern sinken. »Ja, schon gut.« Damit schlurfte er davon, packte seinen Cellokasten und die wichtigsten Noten und kam wenig später die Treppe herunter. Sie sahen ihm beide zu, wie er die Schuhe anzog und seine Windjacke. »Die brauchst du doch nicht«, meinte Mutter halblaut, aber er zog sie trotzdem an.
Sie ging noch mit hinab, als müsse sie überwachen, dass er auch tatsächlich in das Auto stieg, einen dunkelgrauen Mercedes, der aussah, als wäre er gepanzert oder so was. »Stell dich nicht so an«, meinte sie zum Abschied. »Du weißt doch, wie Vater ist. Er mag keinen Widerspruch.«
»Ja, ich weiß«, sagte Wolfgang, schob den großen schwarzen Instrumentenkoffer auf den Rücksitz des Wagens und stieg hinterher.
»Auf Wiedersehen, Frau Wedeberg«, sagte der Mann mit der Boxerstatur und nahm auf dem Fahrersitz Platz. Sie fuhren los, und Wolfgang warf noch einen Blick zurück. Mutter stand mit verschränkten Armen da und sah ihnen reglos nach.
Es war tatsächlich zu warm für eine Jacke. Gleich nachdem sie um die Kurve waren, zog er sie wieder aus.
»Alles klar?«, kam es von vorne.
»Alles klar.« Wolfgang ließ die Verschlüsse des Cellokoffers der Reihe nach aufschnalzen. »Ich kann es noch gar nicht glauben. Sie hat es dir abgekauft, zu hundert Prozent.«
»Hör mal, ich bin schließlich Schauspieler«, meinte der Mann, der niemand anderes war als Gürkan Bardakci, Cems großer Bruder, mit leicht beleidigtem Unterton. »So was mach ich praktisch jeden Tag.«
»Leute entführen?« Er klappte den Deckel auf, so gut es ging. Eine Menge Wäsche, Hemden und Hosen, die in den Raum zwischen dem Instrument und dem Deckel gestopft gewesen waren, quollen hervor, außerdem eine Stofftasche, in die Wolfgang nun alles umpackte. Zum Schluss nestelte er seinen Waschbeutel unter dem Hals des Cellos hervor. »Wenn meine Mutter auf die Idee gekommen wäre, meinen Vater anzurufen, wäre alles aufgeflogen.«
Gürkan grinste breit. »Auf die Idee ist sie schon gekommen«, sagte er genüsslich. »Nur leider war ständig belegt.«
»Ach.«
»Dein Vater denkt, er spricht gerade mit dem Sekretär eines krebskranken Industriellen aus Ankara über Behandlungsmethoden und die Kosten einer bevorzugten Unterbringung. Aber ich fürchte, in Wirklichkeit ist bloß Cem am anderen Ende der Leitung. Und Svenja blockiert das Telefon deines Cellolehrers.«
Wolfgang grinste. »Ihr seid einfach genial.«
Sie fuhren ohne weiteren Aufenthalt bis nach Rottweil, wo Cem und Svenja schon vor dem Bahnhof warteten und ihnen mit ihren Handys zuwinkten, als sie vorfuhren. Zehn Minuten später stiegen Svenja und Wolfgang in den ICE nach Stuttgart, wo sie in einen weiteren ICE umstiegen, der direkt nach Berlin fuhr.
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Arne Maitland saß in der Hofeinfahrt inmitten einer Sammlung abgegriffener Modellautos und fütterte die Schildkröte, die »der Brocken«, hieß, mit Salat. Er sah kaum auf, als ein knatterndes Moped mit chromblitzendem Motor vor ihm hielt. Er kannte den großen Jungen, der darauf saß und ein finsteres Gesicht machte. Das war Marco, der einmal mit Svenja gegangen war. Jetzt musste man ihm immer sagen, dass sie nicht da war, wenn er anrief, selbst wenn es nicht stimmte, weil sie nichts mehr von ihm wissen wollte.
»Hey, Arne«, sagte der große Junge. »Ist Svenja da?«
Arne streckte ihm die Zunge raus. »Nein.«
»Wo ist sie?«
»Sag ich nicht.« Der Brocken zog seinen Kopf in den Panzer zurück. Der hatte es gut.
Marco stieg ab, schwang sein Motorrad auf den Ständer und setzte sich neben Arne auf den Boden. Er hatte eine schwarze Lederjacke an und eine Lederhose mit Nieten, wie sie richtige Motorradfahrer trugen.
»Von mir aus«, sagte er. »Dann werde ich eben hier warten,
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