Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Biologie ging, erklärten die Autoren die Zusammenhänge weitaus verständlicher, als das dem »Kittel« je gelungen war.
Nicht ohne Beunruhigung las er zum Beispiel, dass Dolly aus Brustdrüsenzellen eines sechs Jahre alten Mutterschafes geklont worden war, das zum Zeitpunkt der Experimente schon längst nicht mehr gelebt hatte. Mit anderen Worten, es war durchaus möglich, einen Toten zu klonen. Wolfgang konnte daraufhin nicht anders, als das Buch beiseite zu legen und in seinem uralten Musiklexikon nach Porträts berühmter Cellisten zu suchen. Immerhin vermochte er zwischen sich und Pablo Casals nicht die geringste Ähnlichkeit festzustellen, nicht einmal, nachdem er einen Handspiegel aus dem Bad zu Hilfe geholt hatte. Auch von den anderen großen Cellisten ähnelte ihm keiner, weder von den lebenden noch von den toten. Zumindest, soweit sie in seinem Lexikon abgedruckt waren. Er stieß interessanterweise bei dieser Suche auf den Namen Tessari: ein gewisser Sjepan Tessari, ein gebürtiger Rumäne, dessen viel versprechende Karriere als Cellovirtuose von einem Unfall beendet worden war, bei dem er sich die Hand gebrochen hatte. Danach hatte er sich dem Unterrichten und der Förderung junger Talente gewidmet und in dieser Eigenschaft weltweiten Ruhm in Fachkreisen erworben. Sogar, dass er seit fünfundzwanzig Jahren an der Staatsoper Berlin war und an der Musikhochschule lehrte, stand da. Nur abgebildet war er nicht.
Berlin. Das hatte er ganz vergessen. Und jetzt, mit dem Hausarrest, würde auch nichts mehr draus werden. Vermutlich hatte Svenjas Schwester das Ganze sowieso nicht so ernst genommen.
Und schließlich hatte er inzwischen auch andere Sorgen.
»Ihr wart doch auf eurer Hochzeitsreise in Spanien, nicht wahr?«, fragte er seine Mutter einmal beim Mittagessen, betont harmlos. »Wo wart ihr denn da überall?«
»Oh«, war die zögerliche Antwort. »Madrid. Barcelona. So genau weiß ich das nicht mehr. Da fragst du besser deinen Vater. Er hat alles organisiert, er erinnert sich bestimmt noch.«
Es klang nicht gerade wie jemand, den man auf frischer Tat ertappt hatte, aber auch nicht so, dass Wolfgangs Befürchtungen dadurch zerstreut worden wären.
War er ein Klon? Morgens vor dem Badezimmerspiegel betrachtete er sein Spiegelbild und fragte sich, was es bedeuten würde. Ein Klon zu sein, das kam ihm vor, als habe er sich versehentlich in den Finger geschnitten und entdeckt, dass unter seiner Haut eine Plastikschicht war. Als hätte er sich den Arm gebrochen und gesehen, dass darin Kabel und Gestänge liefen. Natürlich war das Unsinn. Ein Klon war kein Roboter – aber doch ein künstliches Wesen, oder? Etwas durch und durch Unnatürliches.
Doch aus dem Buch erfuhr er, dass Klonen – wissenschaf t lich exakt sprach man eigentlich von Klonierung – keineswegs ein so unnatürlicher Vorgang war, wie immer getan wurde. Klonierung war im Grunde nur eine Form ungeschlechtlicher Fortpflanzung, die vor allem bei niederen Lebewesen eher die Regel als die Ausnahme war. Wenn man etwa den Ableger einer Zimmerpflanze eintopfte, tat man nichts anderes, als einen Klon dieser Pflanze heranzuziehen. Alle Cox-Orange Bäume auf der ganzen Welt zum Beispiel waren Klone eines Baumes, der im neunzehnten Jahrhundert aus einem Apfels a men gewachsen war. Viele Pilzsorten pflanzten sich au s schließlich ungeschlechtlich fort. Bei Moosen, Farnen und normalem Grasrasen kam es zumindest häufig vor. Es gab eine natürliche Form des Klonens, die man Parthenogenese oder »Jungfernzeugung«, nannte, bei der eine Eizelle sich sozus a gen selbstständig machte und zu einem neuen Lebewesen heranwuchs. Bei Wirbeltieren war das zwar selten, kam aber vor, etwa bei manchen Eidechsenarten, beim Lachs oder beim Haustruthahn.
Bei Säugetieren allerdings funktionierte Parthenogenese nicht. Hier musste man, um Klone zu erzeugen, zu massiven technischen Mitteln greifen, und dass das kein im Grunde natürlicher Vorgang mehr sein konnte, sah man spätestens an einem Phänomen, das die Forscher Riesenfetussyndrom nan n ten: Feten von Wiederkäuern, die durch Zellkerntransfer geklont worden waren, wogen bei der Geburt in der Regel mindestens ein Drittel mehr als normal. Das machte den Geburtsvorgang schmerzhafter und medizinisch aufwändiger. Aus diesem Grund hatte man in den USA Versuche, Rinder sozusagen fabrikmäßig zu klonen, wieder aufgegeben.
»War ich eigentlich eine schwere Geburt?«, fragte Wolfgang bei einer Gelegenheit, bei
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