Perfect Copy - Die zweite Schöfung
der es ihm gelungen war, das Gespräch unauffällig auf das Thema Kindheit zu lenken.
Mutter holte tief Luft bei der Erinnerung. »Und wie! Du hast über viereinhalb Kilo gewogen. Ein Riesenbrocken warst du. Fast wäre ich um einen Kaiserschnitt nicht herumgekommen.« Es schien keine angenehme Erinnerung zu sein, denn sie blinzelte, als wolle sie sie vertreiben, und fragte: »Wieso willst du das denn wissen?«
»Ach, nur so«, sagte Wolfgang.
War er ein Klon? Konnte es überhaupt stimmen, was dieser Frascuelo Aznar behauptet hatte? Das Klonen war, so las er es hier, ein unsinnig aufwändiger Prozess. Die Schöpfer von Dolly hatten nicht weniger als 277 Schafsembryonen erzeugt und Muttertieren eingepflanzt, doch nur ein einziger Embryo war zu einem lebensfähigen Tier herangewachsen, während alle übrigen bei Fehlgeburten zu Grunde gegangen waren.
War es unter solchen Bedingungen überhaupt vorstellbar, dass jemand einen Menschen klonte, ohne dass etwas davon durchsickerte? Ohne dass zum Beispiel eine der beteiligten Mütter redete? Äußerst unwahrscheinlich.
Am Ende war alles falscher Alarm. Vielleicht gab es in Spanien ein Bollwerk mit Leuchtturm, das genauso aussah wie das Castillo del Morro oder ihm zumindest so ähnelte, dass man es verwechseln konnte. Und warum auch nicht? Immerhin, was hatte Frau Pohl erzählt? Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatte Kuba noch zu Spanien gehört. Also war dieses Cast il lo doch wohl von Spaniern errichtet worden. Die würden sich für ihre überseeischen Festungsanlagen kaum völlig neue Baupläne ausgedacht, sondern auf Bewährtes zurückgegriffen haben.
Genau. Bestimmt gab es eine einfache, einleuchtende Erklärung für alles. Und eines Tages würde die auch auftauchen.
Und er würde sich einstweilen nicht mehr darum kümmern.
So schleppten sich die Pfingstferien dahin, so träge, wie noch nie Ferien vergangen waren. Er las das Buch über Klone und Gentechnik aus schierer Langeweile zu Ende und war gerade damit durch, als seine Mutter ihn herunter ans Telefon rief. »Dein Freund Cem«, sagte sie und hielt ihm den Hörer hin. »Er will irgendetwas wissen wegen einer Hausaufgabe.«
Wolfgang wusste nichts von einer Hausaufgabe. Das fehlte noch, dass die Lehrer anfingen, ihnen über die Ferien Hausaufgaben aufzugeben. Aber er nahm den Hörer, ohne sich seine Verwunderung anmerken zu lassen. »Cem?«
»Hi«, hörte er Cems Stimme, wie immer glänzender Laune. »Wie ernst ist es? Hört deine Mutter zu?«
»Ja«, nickte Wolfgang. Sie lehnte mit verschränkten Armen im Durchgang zum Wohnzimmer und beobachtete ihn mit sichtlicher Skepsis.
Cem kicherte. »Verstehe. Verschärfte Einzelhaft. Das macht die Sache ein bisschen aufregender.«
»Das ist doch keine schwierige Aufgabe«, sagte Wolfgang.
»Gute Antwort. Also, pass auf. Zunächst mal viele Grüße von deiner Freundin, du Glückspilz. Sie steht echt schwer auf dich, wenn ich das mal so fachmännisch sagen darf. Ach übrigens, nur damit du es nicht von jemand anders erfährst und dir unnötige Sorgen machst: Marco versucht gerade, sich wieder an Svenja ranzumachen. Aber er hat keine Chance, glaub mir. Das ist gelaufen.«
»Verstehe«, sagte Wolfgang.
»Gut, so weit die Nachrichten. Jetzt zur Vorhersage für die kommende Woche. Ich soll dir sagen, dass Svenjas Schwester einen Termin bei dem Professor ausgemacht hat. Keine Ahnung, was sie damit meint, aber du weißt angeblich Bescheid. In drei Tagen. Überübermorgen, mit anderen Worten.«
»Ja. Das ist, ähm, gut.«
»Wie wär's, wenn du zur Abwechslung mal was sagst, das auch so klingt, als würdest du mich bei einer Hausaufgabe beraten?«
»Hmm. Ja.« Wolfgang überlegte. »Du musst, ähm, den Term nach x auflösen. Und die binomische Formel anwenden. Und den Logarithmus von –«
»Gut, danke, reicht. Da schwindet ja mein Feriengefühl, wenn ich so was höre. Also, Svenja organisiert alles, du musst nur noch packen. Womit wir zur Frage aller Fragen kommen, nämlich: Kannst du unauffällig verschwinden?«
»Nein.«
»Aha«, sagte Cem. »Da müssen wir uns was ausdenken.«
#
Zwei Tage später klingelte es früh am Nachmittag an der Haustür. Wolfgang hörte seine Mutter öffnen und mit einem Mann sprechen. Gleich darauf rief sie nach ihm.
»Was ist?«, fragte er von der Galerie herab.
Sie hatte jenen schmallippigen Gesichtsausdruck, der deutlich signalisierte, dass man gut daran tat, ihr nicht zu widersprechen. Hinter ihr stand
Weitere Kostenlose Bücher