Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
realisiert wurde. Architektur ist ein besonderes Metier. Bei der architektonischen Umsetzung einer Struktur müssen viele Rahmenbedingungen berücksichtigt werden – die Wünsche des Kunden, das Budget, die verfügbaren Materialien, die Landschaft und sogar politische Faktoren. In den Arbeiten großer Architekten, wie Le Corbusier, ist ihr persönlicher Stil deutlich zu erkennen, aber bei vielen anderen geht dieser Stil in den verschiedenen Zwängen und Einflüssen unter. Calatrava hatte das Gefühl, er habe noch kein ausreichend großes Vokabular entwickelt oder beherrsche es noch nicht gut genug, um sich selbst zu behaupten. Er ahnte, dass bei einem Berufseinstieg in einem Architekturbüro zu diesem Zeitpunkt seine kreativen Energien den wirtschaftlichen Zwängen nicht standhalten und sich nie wieder davon erholen würden.
Daher traf er eine ungewöhnliche Entscheidung: Er schrieb sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich für den Studiengang Bauingenieurwesen ein. Er wollte Ingenieur werden, um zu lernen, wo die Grenzen beim Entwurf von Gebäuden und Strukturen lagen. Er träumte davon, einmal die Grundprinzipien der Architektur zu brechen und bewegliche Gebäude zu bauen. Zu diesem Zweck studierte er Designs der NASA für faltbare und aufklappbare Gegenstände, die praktisch für Raumfahrtmissionen waren. Derartige Entwürfe setzten andere technische Grundlagen voraus, in die Calatrava sich in Zürich vertiefte.
Er erhielt sein Ingenieurs-Diplom im Jahr 1981 und trat danach endlich als Architekt und Ingenieur ins Berufsleben ein. Er beherrschte nun die technischen Aspekte seiner Arbeit und kannte die wichtigsten Voraussetzungen für die Fertigstellung einer Arbeit, aber den kreativen Prozess selbst hatte ihm niemand beigebracht. Er musste sich seine eigene Version davon selbst erfinden.
Im Jahr 1983 bat man ihn, die Außenfassade eines bereits existierenden Gebäudes – eines riesigen Lagerhauses des deutschen Textilunternehmens Ernsting – zu entwerfen, sein erstes großes Projekt. Er beschloss, das Gebäude vollständig mit Rohaluminium zu verkleiden. Das verband die einzelnen Gebäudeteile zu einem Ganzen, aber auf jeder Seite entstanden durch das Sonnenlicht unterschiedliche, teilweise beeindruckende Effekte. Im Zentrum von Calatravas Entwurf standen die drei Tore der Verladerampen, die sich auf jeweils unterschiedlichen Seiten des Lagerhauses befanden. Hier konnte er seine Ideen von Bewegung und Faltbarkeit ausprobieren. Ohne zu wissen, wie oder wo er mit seinem Entwurf beginnen sollte, zeichnete er mehrere Möglichkeiten für diese Tore. Er hatte als Kind sehr gerne gezeichnet und er machte ständig Skizzen. Er konnte so gut mit einem Bleistift oder Pinsel umgehen, dass er fast alles schnell und exakt zeichnen konnte. Er skizzierte schneller, als er dachte, und brachte seine Visionen mit spielerischer Leichtigkeit zu Papier.
Ohne festen Plan malte er mit Aquarellfarben einfach drauf los und brachte alles zu Papier, was ihm einfiel, als wären es freie Assoziationen. Er dachte an einen gestrandeten Wal und zeichnete ihn. Er überarbeitete das Bild und verwandelte den Wal in ein Lagerhaus, Zähne und Maul des Wals bildeten das Tor zur Verladerampe. Jetzt endlich verstand er das Bild. Das Lagerhaus war zum Wal des Propheten Jona geworden, der Lastwagen und Material ausspuckte. An den Rand der Zeichnung notierte er: »Das Gebäude ist ein lebendiger Organismus.« Er starrte auf die Skizze, und das große Auge des Wals, das er neben das Maul/Lagertor gezeichnet hatte, zog seine Aufmerksamkeit an. Auch dieses Auge war eine interessante Metapher, die ihm eine neue Richtung aufzeigte.
Er fertigte verschiedene Zeichnungen von Augen an den Seiten des Lagerhauses an, bei denen sich die Augen in Türen verwandelten. Seine Zeichnungen wurden bei den nun folgenden realistischeren Darstellungen der Gebäudeseiten detaillierter und architektonischer, aber sie basierten immer noch auf einem sich öffnenden und schließenden riesigen Auge. Die Form verwendete er schließlich für die Falttore, die sich nach oben öffneten in den Bogen eines Augenlides.
Calatrava produzierte sehr viele Skizzen in der Entwurfsphase. Als er sie in chronologischer Reihenfolge durchsah, bemerkte er eine äußerst interessante Entwicklung: Sie verlief von unzusammenhängenden Bildern aus seinem Unterbewusstsein zu immer präziseren Darstellungen. Doch selbst in der exaktesten Skizze der Fassade gab es immer noch ein
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