Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
künstlerisches und verspieltes Element. Diese Folge von Zeichnungen erinnerte ihn an das allmähliche Entstehen einer Fotografie in einer Entwicklerschale. Er empfand diese Vorgehensweise als äußerst befriedigend. Sie gab ihm das Gefühl, etwas Lebendiges zu erschaffen. Es war eine hoch emotionale Art des Arbeitens, bei der er mit Metaphern spielte, mythischen und freudianischen.
Sein fertiger Entwurf war eigenwillig und eindrucksvoll. Allein durch das Verändern der Fassade verlieh er dem Gebäude das Aussehen eines griechischen Tempels, um den das Aluminium in silbernen Säulen wogte. Die Tore der Verladerampen sorgten zusätzlich für einen surrealen Touch und sahen, wenn sie hochgefahren waren, noch mehr aus wie der Eingang zu einem Tempel. All dies fügte sich perfekt in die Funktionalität des Gebäudes ein. Es war ein durchschlagender Erfolg und brachte ihm sofort viel Aufmerksamkeit ein.
In den folgenden Jahren ergab sich ein wichtiger Auftrag nach dem anderen. Calatrava arbeitete an immer größeren Projekten, und er erkannte die Gefahren, die auf ihn lauerten. Zwischen einer ersten Skizze und dem eigentlichen Bau eines Projektes konnten mehr als zehn Jahre vergehen. In dieser Zeit konnten allerlei Probleme oder Konflikte auftreten, die seine ursprüngliche Vision zerstören konnten. Größere Budgets bedeuteten mehr Auflagen und mehr Menschen, deren Wünsche er berücksichtigen musste. Dabei konnte sein Verlangen danach, Regeln zu übertreten und seine eigene Vision zum Ausdruck zu bringen, leicht auf der Strecke bleiben. Daher kehrte er immer wieder im Verlauf seiner Karriere zu seiner Methode zurück, die er für das Ernsting-Lagerhaus entwickelt hatte, und baute sie weiter aus.
Die Zeichnungen waren immer der erste Schritt. In den 1980er Jahren beherrschte die Computergrafik weite Teile der Architektur, und Zeichnungen von Hand wurden immer unüblicher. Als Ingenieur kannte Calatrava die großen Vorzüge eines Computerprogramms beim Erstellen eines Modells und der Stabilitätsprüfung einer Struktur. Aber mit Stift oder Pinsel und Papier konnte er besser gestalten als mit dem Computer allein. Der Computerbildschirm störte den traumähnlichen Vorgang des Skizzierens, die direkte Verbindung zu seinem Unterbewusstsein, den er durchs Zeichnen bekam. Seine Hand und sein Denken verbanden sich dabei auf sehr ursprüngliche und unmittelbare Art, die ein Computer nicht nachbilden konnte.
Für jedes Projekt fertigte er mehrere Hundert Zeichnungen an. Er begann immer auf dieselbe offene Art und sammelte allerlei Assoziationen. Am Anfang stand ein Gefühl oder eine Emotion, die ein Projekt in ihm hervorrief. Dies führte zu einer meist vagen Vorstellung. Als man ihn bat, einen Erweiterungsbau des Milwaukee Art Museum zu entwerfen, dachte er als erstes an einen Vogel, der zum Flug ansetzt, und er zeichnete ihn. Dieses Bild durchlief den Skizzenprozess, und auf dem Dach des fertigen Gebäudes brachte er zwei aus Stahlstreben bestehende Segel an, die sich nach dem Stand der Sonne öffnen oder schließen und an einen riesigen prähistorischen Vogel erinnern, der sich zum Flug über den Michigansee erhebt.
Die meisten dieser ersten, freien Assoziationen hatten mit Natur zu tun – Pflanzen, Bäume, Menschen in unterschiedlichen Posen, Rippengerüste – und mit der umgebenden Landschaft. Erst wenn er die erste Idee zunehmend rational und architektonisch bearbeitete, rückte die Form der Gesamtstruktur in den Vordergrund des Prozesses. Zusätzlich stellte er Modelle her. Manchmal waren es erst völlig abstrakte Skulpturen, aus denen sich in weiteren Versionen der Entwurf einer Struktur herausschälte. All diese Zeichnungen und Skulpturen waren Ausdruck seiner unbewussten und nonverbalen Denkprozesse.
Natürlich stieß er auf immer mehr Einschränkungen, je näher die Bauphase rückte, etwa die verwendbaren Materialien oder finanzielle Überlegungen. Doch durch seine ursprüngliche Strategie empfand er diese Faktoren nur als kreative Herausforderungen. Er musste nur überlegen, wie er gewisse Materialien in seine vorgezeichnete Vision einbinden konnte, sodass sie funktionierte. Wie konnte er bei einem Bahnhof die Bahnsteige und die Bewegung der Züge in seine Gesamtvision integrieren, oder ihre Funktionalität sogar noch erhöhen? Derartige Herausforderungen reizten ihn.
Die größte Gefahr bestand jedoch darin, dass seine Energie nachließ, wenn sich ein Projekt über Jahre hinzog, und dass er die Verbindung zu
Weitere Kostenlose Bücher