Perfekt
Armen stützte und rasch hinter ihm auf den Sitz stieg. Sie sah zu dem Pfad hinauf, auf dem er heruntergekommen war, und mußte feststellen, daß der Hang viel zu steil war, um auf demselben Weg zurückzukehren. So beschloß sie, dem Flußlauf zu folgen und hoffentlich einen Weg zu der Brücke zu finden, von wo aus sie zurück auf die Straße gelangen konnte. Ihre Angst völlig vergessend, beugte Julie sich möglichst weit über ihn, um mit ihrem Körper den Wind abzuhalten, und ließ die Maschine über den Schnee fliegen. »Zack!« schrie sie ihm ins Ohr, verzweifelt bemüht, ihn wachzuhalten und ihre eigene Angst zu besiegen. »Du zitterst ja. Zittern ist gut! Dann bist du noch nicht ganz erfroren ...« Sie nahm die nächste Kurve und lenkte das Snowmobil auf den Pfad, von dem sie hoffte, daß er sie heil nach Hause bringen würde.
28
Zweimal brach er in der Diele zusammen, bevor Julie ihn in ihr Schlafzimmer bringen konnte, den einzigen Raum, von dem sie mit absoluter Sicherheit wußte, daß reichlich Feuerholz im Kamin war. Von der Anstrengung völlig erschöpft, schwankte sie zum Bett und stieß ihn darauf. Seine Kleidung war steifgefroren und schneebedeckt, und sie begann ihn auszuziehen. Während sie an seinen Hosen zerrte, sprach er die ersten Worte, seit sie ihm zu Hilfe geeilt war. »Dusche«, murmelte er schwach. »Heiße Dusche ...«
»Nein«, erwiderte sie und versuchte, möglichst geschäftsmäßig und unpersönlich zu klingen, da sie ihn gerade von seiner eisverkrusteten Unterwäsche befreite. »Noch nicht. Unterkühlte Personen müssen sich ganz langsam aufwärmen und dürfen keinesfalls mit direkter Hitze in Berührung kommen. Das habe ich im Erste-Hilfe-Kurs im College gelernt. Und denk dir bloß nichts dabei, daß ich dich ausziehe. Ich bin Lehrerin, und du bist jetzt wie ein kleiner Junge«, log sie. »Eine Lehrerin ist fast so etwas wie eine Krankenschwester, wußtest du das?« fügte sie hinzu. »Bleib wach! Hör mir zu, was ich sage!« Sie zog die Boxershorts über seine muskulösen Beine und merkte, wie sie dabei rot wurde. Der männliche Körper, der vor ihr lag, erinnerte sie an ein Playgirl-Ausklappbild, das sie im College gesehen hatte. Nur daß sein Körper blau vor Kälte war und von heftigen Kälteschauern geschüttelt wurde.
Sie nahm die Zudecke und packte ihn warm ein, wobei sie seine Haut immer wieder massierte, ging zum Schrank und holte vier weitere Decken, die sie über ihm ausbreitete. Dann eilte sie zum Kamin und entzündete ein Feuer. Erst als das Holz hoch aufloderte, nahm Julie sich die Zeit, ihre eigene Kleidung zu wechseln. Da sie Angst hatte, ihn allein zu lassen, blieb sie am Fußende des Bettes stehen und beobachtete, während sie aus dem Schneeanzug schlüpfte, seine langsame, flache Atmung. »Zack, hörst du mich?« fragte sie, und obwohl er keine Antwort gab, fing Julie an, mit ihm zu reden. Sie erzählte ihm alles mögliche, alles, was ihr gerade einfiel und was ihrer Ansicht nach dazu beitragen würde, seine Lebensgeister zu wecken. Dabei legte sie all ihren Optimismus in ihre Worte. »Du bist sehr stark, Zack. Das habe ich schon bemerkt, als du mir den Reifen gewechselt hast, und jetzt wieder, als du aus dem Fluß geklettert bist. Und du bist auch tapfer. In meiner Klasse gibt es einen kleinen Jungen - er heißt Johnny Everett der wünscht sich nichts mehr, als stark zu sein. Er ist behindert und sitzt im Rollstuhl, und es bricht mir das Herz, wenn ich ihn so sehen muß, aber er gibt niemals auf. Erinnerst du dich? Ich habe dir gestern abend von ihm erzählt.« Ohne die Zärtlichkeit in ihrer Stimme zu unterdrücken, fügte sie hinzu: »Er ist sehr tapfer, genauso wie du. Meine Brüder hatten früher Poster von dir in ihrem Zimmer hängen. Habe ich dir das erzählt? Es gibt so viel, was ich dir erzählen möchte, Zack«, sagte sie erschöpft. »Und ich werde es auch tun, wenn du nur am Leben bleibst und es mir erlaubst. Ich werde dir alles sagen, was du wissen willst. Du mußt nur wieder ganz in Ordnung kommen.«
Sie geriet in Panik. Was, wenn er starb? Es wäre ihre Schuld. Schnell holte sie einen dicken Frottee-Bademantel aus dem Schrank, zog ihn an, setzte sich neben ihm aufs Bett und drückte ihre Fingerspitzen auf seine Halsschlagader, während sie den Wecker auf dem Nachttisch im Auge behielt. Sein Puls schien gefährlich langsam. Mit zitternden Händen und bebender Stimme strich sie die Decken um seine breiten Schultern glatt und sagte: »Wegen gestern
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