Perfekt
und Gefühle abzuschalten. Er hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Mehr noch. Er hatte sich selbst und ihr bewiesen, daß er sie nicht brauchte; nicht einmal ihren Körper. Und er hatte ihr bewiesen, daß er es nicht wert war, daß sie sich Sorgen um ihn machte, wenn sie am nächsten Morgen von hier verschwand.
Er hatte sein Ziel erreicht.
Und noch nie in seinem Leben hatte er sich so einsam gefühlt und so geschämt.
Nach dem heutigen Abend würde sie sich nicht mehr einbilden, in ihn verliebt zu sein, das wußte er. Sie würde ihn aus tiefstem Herzen hassen. Aber bestimmt nicht so sehr, wie er sich selbst haßte. Er verachtete sich für das, was er ihr angetan hatte - und auch für die unerwartete Schwäche, diese brennende Sehnsucht in ihm, zu ihr zu gehen und sie um Vergebung zu bitten. Verzweifelt blickte er auf das Bett, das sie in glücklicheren Stunden miteinander geteilt hatten, aber er wußte, daß er nicht in der Lage sein würde, darin zu schlafen. Nicht, wenn sie im Zimmer nebenan lag und ihn haßte.
39
Als Julie am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang aufstand, lagen die Autoschlüssel für den Blazer auf der Kommode, und im Haus herrschte eine unheimliche Stille. Die schmerzliche Qual des gestrigen Abends war einer dumpfen Benommenheit gewichen, und sie zog ihre Kleider fast automatisch an. Sie wollte nichts weiter als weg von hier und nie mehr an die Zeit in diesem Haus zurückdenken, nie mehr daran erinnert werden. Alles vergessen. Ihr ganzes Trachten war darauf gerichtet, zu vergessen, daß sie ihm jemals begegnet und dumm genug gewesen war, sich in ihn zu verlieben. Nie wieder würde sie jemanden lieben wollen, wenn einen das so verwundbar machte. Sie holte ihre leere Tasche aus dem Schrank, stopfte ihr Waschzeug hinein, zog den Reißverschluß zu und nahm sie in die Hand.
An der Schlafzimmertür blieb sie kurz stehen, blickte sich um, ob sie auch nichts vergessen hatte, und knipste dann das Licht aus. Leise drehte sie den Türknauf, trat in den dunklen Wohnraum - und hielt erschrocken inne, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. In dem milchig-grauen Licht der ersten Morgendämmerung sah sie Zack vor der gegenüberliegenden Fensterfront stehen. Er kehrte ihr den Rücken zu und hatte die linke Hand in die Hosentasche gesteckt. Julie riß ihren Blick los und drehte sich um; sie wollte leise die Diele entlanggehen, doch noch bevor sie den zweiten Schritt getan hatte, sagte er, ohne sich ihr zuzuwenden: »Die Liste mit den Namen von allen, die am Tag des Mordes am Schauplatz waren, liegt auf dem Couchtisch.«
Das Gewicht ignorierend, das plötzlich auf ihrer Brust lastete, weil er zu guter Letzt doch noch nachgegeben hatte, zwang sie sich dazu, weiterzugehen.
»Geh nicht!« rief er heiser. »Bitte.«
Die Verzweiflung in seiner Stimme traf sie mitten ins Herz, doch ihr verletzter Stolz verbot ihr jede Reaktion, und so ging sie weiter. Sie streckte die Hand nach der Klinke der Hintertür aus, als seine rauhe Stimme sie erneut aufhielt: »Julie - bitte geh nicht!«
Ihre Hand weigerte sich, die Klinke zu drücken, und ihre Schultern begannen unter leisem Schluchzen zu beben. Hilflos lehnte sie ihre Stirn gegen die Tür; die Tränen liefen ihr in Strömen übers Gesicht, und die Tasche glitt aus ihrer Hand zu Boden. Sie weinte aus Scham über ihre Schwäche und aus Angst vor einer Liebe, die so stark war, daß sie keine Kontrolle mehr darüber besaß. Und obwohl sie um sich selbst weinte, ließ sie zu, daß er sie in die Arme nahm und sie fest an seine Brust drückte.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Zack und versuchte hilflos, sie zu trösten, streichelte ihre Schultern, preßte sie dicht an sich. »Bitte vergib mir. Bitte.«
»Wie konntest du mir das gestern abend nur antun!« schluchzte sie. »Wie konntest du nur!«
Schwer schluckend, drehte er ihr tränenüberströmtes Gesicht zu sich und gestand es ihr: »Ich habe es getan, weil du mich einen Mörder und Feigling genannt hast und weil ich das nicht ertragen konnte - nicht aus deinem Mund. Und ich habe es getan, weil ich ein herzloser Mistkerl bin, genau wie du gesagt hast.«
»Du hast recht, das bist du«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme, »und das Schlimmste daran ist, daß ich dich trotzdem liebe!«
Zack zog sie wieder in seine Arme, und es kostete ihn eine gewaltige Anstrengung, nicht die Worte auszusprechen, die sie wohl gerne gehört hätte. Die Worte, die seine Gefühle widerspiegelten. Statt dessen
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