Perfekt
Polizei nichts von dem Streit zwischen Zack und Justin erzählt?«
Margaret Stanhope blickte auf ihre Hände, die sie über dem Knauf des Stockes gefaltet hatte, als schäme sie sich ihrer Schwäche. »Ich konnte es nicht«, sagte sie. »Ich konnte den Anblick von Zachary nicht mehr ertragen, aber ich hätte es auch niemals fertiggebracht, ihn im Gefängnis zu wissen. Und deshalb«, schloß sie, ihren Blick zu Zacks undurchdringlicher Miene hebend, »hab' ich dich fortgeschickt. Fort von deinem Heim und von deinen Geschwistern. Ich wußte, daß du auch allein durchkommen würdest«, fügte sie hinzu, und ihre Stimme klang heiser. »Siehst du ... ich wußte, daß du stark bist, Zachary. Sehr stark.« Sie holte erneut tief Luft und fuhr dann fort: »Und sehr intelligent. Und sehr stolz.« Als Zack noch immer keine Reaktion zeigte, fuhr sie fort: »Dein Großvater hat dir und Foster das Versprechen abgenommen, mir niemals zu erzählen, daß - und warum - Justin Selbstmord begangen hat. Foster hat dieses Versprechen an dem Tag gebrochen, an dem du aus dem Gefängnis entlassen wurdest. Er hatte das Gefühl, dir sei zuviel Unrecht widerfahren, und er konnte es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, dieses Geheimnis noch länger für sich zu behalten. Und jetzt bin ich es, die das ganze Unrecht, das ich dir angetan habe, mit meinem Gewissen vereinbaren muß. Ich bin es, die dir deine Geschwister geraubt hat, die dich aus deinem rechtmäßigen Heim vertrieben hat, die Julie dazu gebracht hat zu glauben, du seist zu einem kaltblütigen Mord fähig. Und ich war es auch, die sie dazu gebracht hat, dich an das FBI zu verraten.«
Als sie ausgesprochen hatte, wartete sie darauf, daß er etwas sagen würde, und als er es nicht tat, blickte sie hilfesuchend Julie an. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er mir nicht vergeben wird. Er ist mir viel zu ähnlich, als daß er eine Entschuldigung für etwas akzeptieren könnte, das einfach unverzeihlich ist.« Sie drehte sich um und ging auf die Tür zu, hielt aber kurz vorher inne und blickte Zack noch einmal an: »Wie pathetisch muß ich dir jetzt Vorkommen. Und wie blind! Ich habe mein ganzes Leben vergeudet, weil ich mir nicht erlaubt habe, erst deinen Großvater und dann dich zu lieben. Und jetzt höre ich von Julie, daß ihr beide mich mehr geliebt habt, als ich es mir jemals hätte träumen lassen. Nun muß ich wohl den Rest meines Lebens damit verbringen, all die vergeudeten Jahre zu bedauern und meine Dummheit, meine Grausamkeit und meine Blindheit zu bereuen. Eine angemessene Strafe für mich, findest du nicht, Zachary?«
»Nein«, platzte Julie heraus, die Zacks inneren Zwiespalt erahnte. »Sie haben überhaupt keine solche Strafe verdient, und er weiß das genau!« Sie streckte ihre Hand aus und berührte Zacks starres Gesicht, ohne sich von der Eiseskälte seiner Augen abschrecken zu lassen. »Zack«, sagte sie leise, »bitte laß diese Chance nicht ungenutzt verstreichen. Du kannst euren Streit jetzt für immer beenden. Ich weiß, daß du deine Großmutter geliebt hast, ich weiß es wirklich! Ich habe es aus deiner Stimme herausgehört, als du mir in Colorado von ihr erzählt hast. Sie hat mitbekommen, wie du kurz vor Justins Tod mit deinem Bruder gestritten hast; wußtest du das schon vorher?«
»Nein.« Seine Antwort klang barsch.
Julie verstärkte den Druck ihrer Hand auf seinem Arm und flehte: »Du hast mir sehr viel Schlimmeres vergeben.«
Mrs. Stanhope wandte sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen und holte ein kleines Samtetui aus ihrer Tasche. »Das hier wollte ich dir noch geben«, sagte sie und hielt es ihm hin. Als Zack nicht danach griff, gab sie es Julie. »Es ist die Uhr, die deinem Großvater gehört hat.« Dann straffte sie ihre Schultern, nickte Julie freundlich zu und sagte mit einem leisen, wehmütigen Lächeln: »Vielen Dank dafür, daß Sie versucht haben, mir zu helfen. Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Frau, sehr warmherzig und sehr couragiert - die passende Frau für meinen Enkel.« Ihre Stimme brach bei dem letzten Wort, und sie griff nach dem Türknauf.
Hinter ihrem Rücken ertönte Zacks Stimme: »Julie hat Tee gemacht. Ich nehme an, sie würde sich freuen, wenn du auf eine Tasse bleiben würdest.« Mehr brachte er nicht über die Lippen, aber beide Frauen wußten genau, daß es ein echtes Friedensangebot war. Mrs. Stanhope blickte auf den hochgewachsenen, attraktiven Mann, der unglaublichen Widrigkeiten nicht nur
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