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Perfekt

Titel: Perfekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaught
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leisen Seufzer, »möchte ich in der Lage sein, meinen Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen.«
    Julie sah Debby Sue Cassidy an, eine Dreißigjährige mit glattem braunem Haar, riesigen Augen und ruhigem Wesen, die von ihren herumziehenden Eltern immer wieder aus der Schule genommen worden war, bis sie schließlich in der fünften Klasse endgültig aufgehört hatte. Gerade sie hielt Julie für besonders intelligent; nach dem wenigen zu urteilen, das sie im Unterricht sagte, war sie ausgesprochen kreativ und konnte sich gut ausdrücken. Sie arbeitete als Zimmermädchen, doch sie wirkte wie eine Bibliothekarin. Zögernd gab sie zu: »Wenn ich tun könnte, was ich wollte, dann weiß ich genau, was ich tun würde.«
    »Und was wäre das?« fragte Julie und erwiderte ihr Lächeln.
    »Lachen Sie mich nicht aus - nun, ich möchte ein Buch schreiben.«
    »Ich lache Sie nicht aus«, sagte Julie sanft.
    »Ich glaube, ich könnte es eines Tages wirklich tun. Ich meine, ich habe viele gute Ideen, und ich kann sie auch gut erzählen, nur kann ich sie nicht aufschreiben. Ich - ich höre mir Bücher auf Kassetten an - Sie wissen schon, die für Blinde aufgenommen werden. Natürlich bin ich nicht blind, aber manchmal komme ich mir direkt so vor. Ich habe das Gefühl, in einem dunklen Tunnel zu stehen, aber es gibt keinen Ausweg. Das heißt, jetzt beginne ich ganz allmählich, am Ende des Tunnels ein Licht zu sehen ...«
    Diese Geständnisse zogen andere nach sich, und Julie bekam allmählich ein klares Bild von dem Leben, das diese Frauen führen mußten. Keine von ihnen besaß Selbstvertrauen. Sie ließen sich von ihren Männern, mit denen sie lebten oder verheiratet waren, tyrannisieren und schikanieren, und sie glaubten, daß sie es nicht besser verdienten. Als Julie die Tür des Klassenzimmers abschloß, war sie schon zehn Minuten zu spät dran, doch entschlossener denn je, das Geld aufzutreiben, um die Art von Lernhilfen kaufen zu können, die ihren Schülern das Lesenlernen wesentlich erleichtern würden.

12
    Als Julie beim Haus ihrer Eltern vorfuhr, stand Teds Streifenwagen vor der Tür, und Carl kam die Auffahrt herunter und redete mit ihm. Carls blauer Chevrolet Blazer, mit dem sie nach Amarillo fahren wollte, weil ihr eigenes Auto nicht so zuverlässig war, stand in der Einfahrt, und Julie parkte ihren Ford gleich neben dem Geländewagen. Die zwei Männer blieben stehen, um auf sie zu warten, und noch immer, nach all diesen Jahren noch, regte sich in ihr ein gewisser Stolz auf ihre großen, gutaussehenden Brüder, und sie empfand es keinesfalls als selbstverständlich, daß die beiden sie so besonders liebevoll behandelten. »Hallo, Schwesterchen!« sagte Ted und drückte sie fest an seine Brust.
    »Hallo«, sagte sie und erwiderte die Umarmung. »Was macht die Juristerei?« Ted war Sheriff bei der Polizei von Keaton, doch er hatte nebenher Jura studiert und soeben die letzten Prüfungen hinter sich gebracht. Jetzt wartete er nur noch auf seine Zulassung als Anwalt.
    »Prächtig, prächtig«, scherzte er. »Heute nachmittag habe ich Mrs. Herkowitz eine Vorladung angedroht, weil sie schon wieder bei Rot über die Straße gegangen ist.« Obwohl er versuchte, witzig zu sein, war seine Stimme nicht ganz frei von einem gewissen Zynismus, der ihm seit nunmehr drei Jahren anhaftete - seit dem Scheitern seiner kurzen Ehe mit der Tochter des reichsten Bürgers von Keaton. Dieses Erlebnis hatte ihn tief getroffen und eine gewisse Kälte und Härte hinterlassen. Die ganze Familie wußte das und litt darunter, vermochte aber nichts dagegen zu unternehmen.
    Carl dagegen war seit sechs Monaten verheiratet und noch frisch verliebt und voller Optimismus. Auch er zog sie an sich und umarmte sie herzlich. »Sara kann heute abend nicht mitkommen, weil sie immer noch so stark erkältet ist«, erklärte er.
    Die Außenbeleuchtung ging an, und Mary Mathison erschien in der offenen Tür. Sie hatte eine Schürze um die Taille gebunden. Abgesehen von einigen grauen Strähnen in dem vollen dunklen Haar und der Tatsache, daß sie seit einem Herzinfarkt etwas langsamer machen mußte, war sie noch immer genauso hübsch und vital und warmherzig wie eh und je. »Kinder«», rief sie, »schickt euch! Das Essen wird kalt.«
    Reverend Mathison stand hinter ihr, hochgewachsen und aufrecht, doch trug er jetzt eine Brille, und sein Haar war fast völlig ergraut. »Kommt rein«, sagte er, umarmte Julie und klopfte seinen Söhnen auf die Schulter, als sie

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