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Perfekt

Titel: Perfekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaught
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hoffentlich auch in ihrem Herzen Platz für ein ganz besonderes kleines Mädchen hatten.
    »Ich wollte, daß Sie sie einmal sehen«, sagte Terry und war gerade im Begriff, den Vorhang vor die Glasscheibe zu ziehen, als Julie plötzlich aufstand, voller Verzweiflung auf das Aquarium blickte und dann mit beiden Händen ins Wasser griff.
    »Was zum Teufel ...«, fing John Frazier an, verstummte dann aber und beobachtete gebannt, wie das Mädchen, den toten Fisch in ihren tropfnassen Händen, auf die Sprechstundenhilfe zumarschierte.
    Julie wußte, daß sie den Teppich nicht naß machen sollte, aber sie konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, daß dieser schöne Fisch mit seinen langen, prächtigen Flossen von anderen verstümmelt wurde. Nicht sicher, ob die Sprechstundenhilfe sie wirklich nicht bemerkte oder sie absichtlich übersah, trat Julie dicht an ihren Stuhl heran. »Entschuldigen Sie«, stieß sie mit lauter, hektischer Stimme hervor und zeigte ihre Hände.
    Die Sprechstundenhilfe, die völlig in ihre Tipperei vertieft gewesen war, fuhr erschrocken zusammen. Sie drehte sich herum und stieß beim Anblick des toten, tropfnassen Fisches, der sich direkt vor ihrer Nase befand, einen unterdrückten Schrei aus.
    Julie trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, verfolgte ihr Ziel aber weiter. »Er ist tot«, sagte sie einfach und bemühte sich, möglichst kühl und unbeteiligt zu klingen und sich nichts von dem Mitleid anmerken zu lassen, das sie für die schöne Kreatur empfand. »Ich wollte nicht Zusehen, wie die anderen Fische ihn auffressen. Das wäre einfach scheußlich. Wenn Sie mir ein Stück Papier geben, wickle ich ihn ein, und Sie können ihn dann in die Mülltonne werfen.«
    Von ihrem Schock erholt, unterdrückte die Sprechstundenhilfe ein Lächeln, öffnete eine der Schreibtischschubladen und nahm mehrere Papiertücher heraus, die sie dem Kind gab. »Möchtest du ihn vielleicht mitnehmen und zu Hause begraben?«
    Genau das hätte Julie am liebsten getan, aber da die Stimme der Frau amüsiert zu klingen schien, wickelte sie den Fisch hastig in sein papiernes Leichentuch ein und hielt ihn ihr hin. »So dumm bin ich nun auch wieder nicht. Es ist schließlich bloß ein Fisch, nicht ein Kaninchen oder so etwas.«
    Auf der anderen Seite des Spiegels lachte Frazier leise und schüttelte den Kopf. »Sie würde diesen Fisch am liebsten richtig bestatten, ist aber zu stolz, das zuzugeben.« Dann wurde er wieder ernst und fügte hinzu: »Wie ist das mit Julies Lernproblemen? Wenn ich mich recht erinnere, ist sie auf dem Stand der zweiten Klasse.«
    Dr. Wilmer schnaubte unwillig. Sie holte von ihrem Schreibtisch einen Ordner, der die Ergebnisse der Testreihen enthielt, an denen Julie vor kurzem teilgenommen hatte, und schlug die betreffende Seite auf. Mit einem Lächeln reichte sie Frazier den Ordner: »Sehen Sie sich ihre Ergebnisse bei den mündlichen Intelligenztests an. Schreiben und Lesen waren dort nicht gefragt.«
    John Frazier folgte ihrer Aufforderung, dann lachte er leise. »Dieses Kind hat einen höheren IQ als ich.«
    »Julie ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes Kind, John. Als ich ihre Unterlagen durchsah, ahnte ich bereits etwas Derartiges, aber als sie mir dann gegenüberstand, wußte ich, daß es wahr ist. Das Mädchen ist lebhaft, tapfer, sensibel und hochintelligent. Und hinter Julies gespielter Selbstsicherheit verbergen sich eine seltene Sanftmut, Hoffnung und ein heldenhafter Optimismus, die sie sich trotz fortwährender Enttäuschungen erhalten konnte. Für sich selbst kann Julie nichts tun, also hat sie sich unbewußt darauf konzentriert, die jüngeren Kinder aus ihrem Waisenhaus zu beschützen. Sie stiehlt und lügt für sie, sie organisiert Hungerstreiks, und die Kinder folgen ihr, als wäre sie der Rattenfänger von Hameln. Mit ihren elf Jahren hat sie eindeutige Führungsqualitäten. Wenn sie aber nicht sehr bald aus diesem Umfeld herauskommt, wird sie früher oder später in einer Besserungsanstalt und schließlich im Gefängnis landen. Doch momentan ist das noch nicht einmal ihr schlimmstes Problem.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ich meine, daß dieses Mädchen trotz all seiner wunderbaren Fähigkeiten einen unglaublichen Minderwertigkeitskomplex hat. Weil niemand sie adoptieren wollte, hält Julie sich für wertlos und für nicht liebenswert. Weil sie nicht so gut lesen kann wie ihre Klassenkameraden, ist sie davon überzeugt, dumm und lernunfähig zu sein. Und das

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