Perfekte Manner gibt es nicht
jemals meine wahre Identität finden will, muss ich ehrlich sein – nicht zu mir selber, sondern auch zu den Menschen, die mir am nächsten stehen …«
Lou streckte eine Hand aus – doch nicht um Vicky an die Gurgel zu gehen, obwohl sie gute Lust dazu hatte, sondern um nach ihrer Handtasche zu greifen. »Großartig«, zischte sie und sprang auf. »Einfach großartig. Hoffentlich fühlst du dich jetzt richtig gut. Wenn es nämlich stimmt und Tim hinter all dem steckt, dann sind zwei Menschen wegen deiner verdammten emotionalen
Ehrlichkeit gestorben Und Jack könnte der Nächste sein…« Kaltes Entsetzen schnürte ihr beinahe die Kehle zu. »Weil er jetzt am Set ist, wo dein Mann gerade hinfliegt …«
»Tut mir leid«, jammerte Vicky. »O Gott, Lou, es tut mir so leid! Ich … Warte, was machst du denn?«
Entschlossen packte Lou Vickys Handgelenk und zerrte sie aus der Nische. »Du kommst mit mir. Jetzt werden wir beide mit dem netten Sheriff reden, der gestern hier war.«
»O nein!«, stöhnte Vicky. »Wenn Tim herausfindet, was ich dir erzählt habe, bringt er mich um!«
Lou lächelte kalt. »Sehr gut«, lautete ihr einziger Kommentar.
30
»Mr. Townsend, Sie werden am Set gebraucht!«, drang die Stimme durch die Tür von Jacks Wohnwagen.
Jack blickte von seinem Notizblock auf. Da er anscheinend unfähig war, Lou zu erklären, was er für sie empfand, wollte er es niederschreiben.
Aber so etwas einer Autorin zu schreiben, das fiel ihm noch schwerer, als es auszusprechen. Mittlerweile lagen acht zerknüllte Entwürfe am Boden seines Wohnwagens – und es war erst zehn Uhr morgens. Der Ruf zum Set ließ ihn erleichtert aufatmen. Jetzt hatte er wenigstens etwas zu tun, das ihn auf andere Gedanken bringen würde.
Er trat in die eisige Luft hinaus, sah den einst wei ßen Schnee, der sich in graue Klumpen verwandelt hatte, und überlegte, dass er sich eher um sein Überleben sorgen sollte als um seine Liebeswirren. Obwohl der Feuerwehrhauptmann versichert hatte, die Ursache der Explosion in der Hotelsuite sei vermutlich auf schadhafte Stromkabel zurückzuführen, war Jack überzeugt, dass es sich hier eher um schadhafte Gehirnwindungen handelte – nämlich bei der mysteriösen Person, die ihn ermorden wollte.
Sobald er den Wohnwagen verließ, stieg ein Officer aus seinem Streifenwagen und eilte zu ihm. Gewiss würde jeder andere Mann, der so viel durchgemacht hatte wie Jack in den letzten Tagen, beim Anblick des jungen Cops mit dem frischen Gesicht keinen Groll
verspüren. Jeder andere würde den Polizeischutz völlig okay finden.
Aber Jack ärgerte sich darüber.
Oh, Officer Mitchell war sehr freundlich. Lächelnd trottete er hinter Jack über den gefrorenen Boden zum Eingang des Minenschachts, wo die letzte Szene des Films gedreht werden sollte.
Trotzdem – der Gedanke, dass ihn irgendjemand töten wollte, wurde ihm allmählich unangenehm. Wenn er sich tatsächlich in dem Zimmer aufgehalten hätte, wo die Bombe explodiert war … Oder noch schlimmer – wenn Lou mit ihm dort gewesen wäre… Er mochte es sich nicht ausmalen! Da wollte er ein neues Leben anfangen, mit einer Frau, die ihm wirklich etwas bedeutete – und sie wurde vor seinen Augen in Stücke gerissen … Er musste etwas gegen diese Bedrohung unternehmen. Und zwar sofort.
Doch erst einmal mussten die Dreharbeiten beendet werden. Während er mit Officer Mitchell zu Tim Lord ging, der im Regiesessel saß und seinem Assistenten Paul Thomkins letzte Anweisungen gab, empfand Jack eine gewisse Genugtuung, weil er zum letzten Mal vor der Kamera stehen würde. Das wirkte wie eine Befreiung.
»Ah, Jack!« Tim gab Paul das Clipboard und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Bist du bereit?«
»Klar.«
»Sehr gut.« Tim warf einen kurzen Blick in Officer Mitchells Richtung, lächelte dünn und wandte sich zum etwa zwanzig Meter entfernten Minenschacht. In Jacks Nähe saß das Team für Spezialeffekte, das die Explosion vorbereitet hatte, an einem Tisch. Der
Schnee war vor dem Schacht weggefegt worden. Nur jungfräuliches Pulver bedeckte den Boden. Bei einigen Proben hatten die Pyrotechniker herausgefunden, wo sie die Detonatoren postieren mussten. Und nun sollte die Mine gesprengt werden.
Vorher brauchte Tim, wie er Jack erklärte, ein paar Einstellungen von Detective Pete Logan, der vom Eingang der Mine wegrannte und sich in eine Schneewehe stürzte. Darin lag eine versteckte Schaumstoffmatte, die Jacks Landung dämpfen sollte. Später
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