Perfekte Manner gibt es nicht
ich tu’s.«
Oh, verdammt, dachte sie. Dreimal hatte sie es gesagt. Und Leute, die etwas dreimal wiederholten, sagten nie die Wahrheit. Das hatte ihr Vater ihr oft genug erklärt. Aber vielleicht hatte Sam, der offensichtlich nicht auf derselben Seite des Gesetzes stand wie Frank Calabrese, noch nichts davon gehört.
Oder vielleicht doch. Er starrte sie immer noch an. Wie sie unwillkürlich feststellte, mit ebenso blauen Augen wie Jack Townsend. Aber es war ein anderes Blau, ein helleres, glanzloses Blau, ohne den dunklen Ring um die Iris. Nicht wie Jacks Blau, das so viele Fans von STAT für den grüblerischen Dr. Rourke begeistert hatte …
»Nein, Sie werden mich nicht erschießen«, betonte Sam wie ein Vater, der ein widerspenstiges Kind maßregelte. »Niemanden werden Sie erschießen. Zu so etwas sind Sie nicht fähig.«
Lou blinzelte ihn an. Natürlich hatte er recht. Sie würde ihn nicht erschießen – und auch niemand anderen. Vierzig Jahre lang war ihr Vater Polizist in New York City gewesen. Kein einziges Mal hatte er jemanden erschossen. Ihre vier Brüder arbeiteten alle bei verschiedenen Polizeistellen. Auch sie hatten noch niemanden erschossen. Klar, sie zogen ihre Waffen, waren aber noch nie in Situationen geraten, wo es nötig gewesen wäre, abzudrücken …
Abgesehen von Nick, der einmal auf eine Rottweilerhündin geschossen hatte. Das war unumgänglich gewesen, da sie die Sanitäter nicht zu ihrem verletzten Besitzer gelassen hatte. Doch er hatte eine Gummikugel benutzt. Davon hatte sie sich schon sehr bald erholt. Aber seinen Besuch an ihrem Krankenlager hatte sie nicht zu schätzen gewusst.
Die Leuchtpistole in Lous Hand schwankte ein bisschen. »Okay …« In ihren eigenen Ohren klang die Stimme nicht nach Clint – unglücklicherweise eher nach Sally Field. »Also, okay … vielleicht schieße ich Ihnen nicht in den Kopf. Aber ganz sicher ins Bein. Und das wird verdammt wehtun.«
Seufzend schüttelte Sam den Kopf. »Schätzchen, wenn Sie auf mich schießen, fällt der Hubschrauber runter. Wie ein Stein.«
Lou zuckte zusammen. O Gott, daran hatte sie nicht gedacht. Jetzt wackelte die Waffe in ihren Fingern noch heftiger.
»Das bezweifle ich«, sagte Jack Townsend seelenruhig.
Nicht nur Lou starrte ihn verblüfft an. Auch Sam riss den Mund auf. Anscheinend hatten beide die Existenz
einer dritten Partei in der kleinen Kabine vergessen – so intensiv war ihr Wortwechsel gewesen.
»Wissen Sie, ich habe schon mal einen R-44 gesteuert«, fügte Jack im Plauderton hinzu.
Überrascht hob Lou die Brauen. »Tatsächlich?«
»Klar.« Jack zuckte mit den breiten Schultern. »In Bergers Film Die Zeit des Spions . Vielleicht erinnern Sie sich dran. Schon in der ersten Woche fünfundsechzig Millionen an den Kinokassen.«
Beinahe ließ Lou die Leuchtpistole fallen. Erstens würde Jeffrey Berger – der so unverschämt gewesen war, den ersten Hindenburg- Entwurf abzulehnen, den Lous Agentin ihm geschickt hatte – seinen Schauspielern niemals erlauben, ihre eigenen Stunts auszuführen. Und auf keinen Fall hätte Jack eine schwere Maschine wie einen R-44 fliegen dürfen. Und Die Zeit des Spions hatte ganz sicher nicht solche hohen Einnahmen erzielt, schon gar nicht in der ersten Woche.
Aber Jack warf ihr einen Blick zu, der ihr wieder die brenzlige Situation ins Gedächtnis rief. Und so drückte sie die Mündung der Leuchtpistole etwas fester an die Schläfe des Piloten. »Okay, Sam. Auch ohne Sie kommen wir großartig zurecht. Legen Sie endlich Ihre Waffe weg.«
Sam, offensichtlich weder über Jeffrey Bergers konservative Regieführung noch über die spärlichen Einnahmen von Die Zeit des Spions informiert, holte tief Luft. Und dann, zu Lous maßloser Verwunderung, reichte er Jack den.38er.
Anscheinend erinnerte Jack sich an alles, was er bei den Dreharbeiten zu den Copkiller -Filmen gelernt hatte. Mit beiden Händen umfasste er den Revolver, einen
Zeigefinger in der Nähe des Abzugs. Damit wollte er verhindern, dass er versehentlich abdrückte, bevor es wirklich nötig war.
»Also gut«, sagte er in einem ganz anderen Ton als vorhin, wo er Sam »um Himmels willen« gebeten hatte, doch mal nachzudenken.
Jetzt klang seine Stimme ruhiger denn je. Tödlich ruhig, und Lou erschauerte. Oder vielleicht fröstelte sie, weil sie immer noch durch die arktische Luft rasten, während zwei gefährliche Waffen entsichert waren.
»Wenden Sie diesen Vogel«, befahl Jack ganz cool.
Lou war froh, weil sie
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