Performer, Styler, Egoisten
waren im Januar 2012 von den österreichischen Arbeitslosen 46,1 Prozent PflichtschulabsolventInnen, 37,3 Prozent AbsolventInnen einer Lehre und lediglich 3,3 Prozent UniversitätsabsolventInnen ( http://www.ams.at/_docs/001_am_bildung_0112.pdf ). Kein Wunder also, wenn sich das Gros der Eltern bemüht, ihre Kinder in höheren Schulen unterzubringen.
Die Werteforschung zeigt uns, dass PflichtschülerInnen und Lehrlinge eine materialistische Grundhaltung aufweisen. Für sie zählen zum Beispiel im Beruf in erster Linie materielle Gratifikationen, und Freizeit ist für sie fast ausschließlich Konsumzeit. Hochwertige Konsumartikel werden in dieser Gruppe dazu benutzt, um höhere Statuspositionen zu besetzen und um sich von der Umgebung abzugrenzen. Der Wert des Menschen erscheint auf den Tauschwert der Konsumgüter reduziert, die er sich aneignet und demonstrativ nutzt.
Im Gegensatz dazu neigen vor allem GymnasiastInnen und StudentInnen humanwissenschaftlicher Fächer zu einem postmaterialistischen Verhalten. Zumindest kommunizieren sie der sie umgebenden Öffentlichkeit, dass für sie Ideen mehr zählen als Geld und der Sinn des Lebens eher im gemeinschaftlichen Engagement als im materialistischen Egoismus liegt. Die gegensätzlichen Grundwerte der beiden Gruppen schlagen sich auch in ihrem kulturellen und politischen Verhalten nieder. Findet man die materialistischen jungen Berufstätigen und Auszubildenden eher in Vorstadtdiskotheken wieder, wo sie zu kommerziellen Eurodance-Produktionen à la DJ David Guetta tanzen, so lassen sich Studierende lieber in alternativen Clubs nieder. Wenn es um Politik geht, dann wenden sich bildungsferne Jugendliche überwiegend den neopopulistischen Rechten zu, während die Lieblingsparteien der Studierenden im grünalternativen Spektrum liegen (vgl. Ikrath 2012; Großegger 2011; Heinzlmaier 2010).
Nachdem wir bisher auf soziale und kulturelle Differenzen in der Jugendpopulation abgestellt haben, wollen wir nun versuchen, gesellschaftliche Bedingungen auszumachen, denen alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen in gleichem Maße ausgesetzt sind und die am Ende zu klassen-, schicht- und milieuübergreifenden Denk- und Verhaltensweisen führen. In sozialwissenschaftlichen Berichten und Kommentaren ist die Rede vom „Pragmatismus der Jugend“ als durchgängiges Leitmotiv. Das Diktum von der „pragmatischen Generation“ geht auf die 14. Shell Jugendstudie aus dem Jahr 2002 zurück, die unter der Federführung von Klaus Hurrelmann in Deutschland entstanden ist. Der Pragmatismus des Jahres 2002 war aber noch ein „konstruktiver“. Die 15. Shell Jugendstudie, die vier Jahre später durchgeführt wurde, fand nach wie vor eine pragmatische Jugend vor, die ihre Lebensführung an „praktischen Problemen orientiert, die mit persönlichen Wünschen verbunden sind“, aber die in der Zwischenzeit weiter verschlechterte wirtschaftliche Lage hatte dazu geführt, dass der konstruktive Pragmatismus der Jugend unter Druck geraten war. Es ist nun schwerer geworden, seinen pragmatischen Lebensentwurf in die Praxis umzusetzen (Hurrelmann 2006: 31). Auch die flexibelsten und anpassungsbereitesten Pragmatiker können nicht mehr davon ausgehen, dass ihrer systemkonformen Handlungspraxis Erfolg beschieden sein wird. Und wenn der Lohn für den Verzicht auf Selbstverwirklichung ausbleibt, wie werden sie dann reagieren, die braven Biederlinge, die coolen Kalkulanten ihres eigenen Vorteils?
Über den Mangel an Urteilskraft und Deutungskompetenz
Um es in eine Metapher zu kleiden: Die Jugend glaubt sich auf einem langfristig dem Untergang geweihten Schiff, auf dem ihr aber noch genügend Zeit bleibt, um das eigene Leben zufriedenstellend über die Runden zu bringen. Oder: Die Welt wird untergehen, aber davor werde ich noch ein gutes Leben haben. Oder: Nach mir die Sintflut.
Anhand dieses Beispiels, der Differenz zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Zukunftserwartung, zeigt sich die Bildungskatastrophe unserer Tage, die man mit Oskar Negt wohl als einen Aspekt des „Ungleichgewichts in der Wissensgesellschaft“ bezeichnen kann (Negt 2010: 188). Unter dem „Ungleichgewicht in der Wissensgesellschaft“ versteht Negt das Übergewicht des technischen, betriebswirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Wissens bei gleichzeitigem Mangel an politischer Urteilskraft und gesellschaftlicher Deutungskompetenz (ebd.: 189). Wie könnte man es anders als als Mangel an Urteilskraft und
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