Performer, Styler, Egoisten
Band, die sie dann für Modelle der Wirklichkeit ausgibt. So wird in Gruppen zusammengeführt, was nicht zusammengehört, und es entstehen lediglich schöne Fassaden, die naturgemäß mehr verschleiern als sie enthüllen. Analytische Einblicke in die Lebenswelt der jungen Menschen unserer Zeit liefern die Mathematiker und Hochrechner der Jugendforschung jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Ihre Studien sind häufig im hohen Maße ideologisch und offenbaren wenig darüber, was die Jugend wirklich will, und viel darüber, wie die Politik und die Mächtigen der Wirtschaft die Jugend gerne hätten. Was in den großen quantitativen Analysen der Meinungsforschung unserer Tage verloren geht, ist die subjektive Perspektive der Menschen, die, folgt man Alfred Schütz, die einzige hinreichende Garantie dafür ist, „dass die soziale Wirklichkeit nicht durch eine fiktive, nicht existierende Welt ersetzt wird, die irgendein wissenschaftlicher Beobachter konstruiert hat“ (Schütz nach Honer 2011: 27).
Differenzen, Widersprüche und Abkoppelung
Durch die Jugend verläuft nichtein Riss, sondern wir finden gleich mehrere Risse. Um einen Bildvergleich zu bemühen, die Jugend ist wie eine Fensterscheibe, die nach dem Aufprall eines Steines nicht vollkommen zersplittert ist, aber nur mehr eine höchst fragile, von Sprüngen durchzogene Einheit bildet. Wir können also noch Gemeinsamkeiten entdecken, wenn wir die Altersgruppe der unter Dreißigjährigen betrachten, doch immer dominanter werden die Gegensätze, und auch ein Auseinanderbrechen der Jugendpopulation in völlig unvermittelte Teilgruppen ist nicht mehr auszuschließen.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Jugend ist bereits dermaßen nachhaltig vom Mainstream abgekoppelt, dass es wohl mehr als eine Generation dauern würde, wollte man diese Gruppe wieder in dieGesellschaft eingliedern. Aber es fehlt den politischen Parteien ohnehin der Wille dazu, das an die 10 Prozent umfassende juvenile Prekariat wieder in die Normalität zurückzuholen (vgl. Calmbach u. a. 2012). Es ist wohl ein typischer Charakterzug des modernen politischen Pragmatismus, der relativ ideologiefrei, mit ruhiger Hand und mit Augenmaß die Regierungsgeschäfte betreibt, indem er Entscheidungen in erster Linie nach den Maßgaben der betriebswirtschaftlichen Vernunft trifft. Diese „coole“ Form der Vernünftigkeit evoziert einen politischen Umgang mit den Prekären, der der kostengünstigsten Variante der Alimentierung der Hoffnungslosigkeit auf niedrigstem Niveau bei gleichzeitig exzessiver Kontrolle durch Sozialämter und Polizei gegenüber einer kostenintensiven Reintegration den Vorrang gibt. Die Situation, in der sich diese jungen Menschen befinden, beschreibt eine Formulierung von Jeremy Rifkin treffend, die Oskar Negt in einem Text, in dem er sich mit der Verbetriebswissenschaftlichung der Vernunft im Spätkapitalismus auseinandersetzt, paraphrasiert. „Es ist schlimm, wenn Menschen ausgebeutet werden, aber noch schlimmer ist es, wenn sie noch nicht einmal mehr für Ausbeutung benötigt werden.“ (Negt 2010: 195) Eine Gruppe, deren Arbeitskraft für das Verwertungsinteresse des Kapitals irrelevant geworden ist, ist am untersten Ende der sozialen und Statushierarchie angelangt. Tiefer kann niemand sinken.
Wir haben also nun schon einen wesentlichen differenzierenden Sprung oder Bruch identifiziert, der es unmöglich erscheinen lässt, von einer homogenen Jugendpopulation zu sprechen. Dieser Bruch ist ein vordergründig sozialer, der aber naturgemäß kulturelle Differenzierungen nach sich zieht. Das heißt, die Prekären schaffen sich einen eigenen, ihrer sozialen Lage angepassten kulturellen Raum mit spezifischen Denk- und Sprechweisen und typischen alltagsästhetischen Formen (vgl. Calmbach u. a. 2012).
Bildungsdifferenzen in der Wissensgesellschaft
und ihre Folgen
In einer Wissensgesellschaft hängen soziale Anerkennung, Einkommen und soziale Sicherheit im hohen Maße vom Bildungs-
niveau der Menschen ab. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Möglichkeit für Eltern, ihre Kinder in Bildungsgänge zu bekommen, die diesen zum sozialen Aufstieg verhelfen oder zumindest den drohenden sozialen Abstieg durch Arbeitslosigkeit vermeiden helfen. Die höchste Gefahr, in Arbeitslosigkeit zu geraten, droht Jugendlichen, die lediglich die Pflicht-/Hauptschule absolviert haben, danach folgen die Absolventen einer Lehrausbildung. Im Vergleich dazu wenig von Arbeitslosigkeit bedroht sind AkademikerInnen. So
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