Performer, Styler, Egoisten
Deutungskompetenz bezeichnen, wenn die Mehrheit der unter Dreißigjährigen Staat und Gesellschaft den Bach runtergehen sieht und gleichzeitig glaubt, davon unbetroffen ein individuell glückliches Leben führen zu können? Am Werk ist hier ein pragmatischer Individualismus, der wohl aus Unkenntnis und auch aus Zynismus nur mehr sich selbst im Blick hat und das gesellschaftliche Umfeld verzweifelt ausblendet, um von diesem in seinen Bestrebungen nicht irritiert zu werden. Für das Aufkommen und die Ausbreitung dieses pragmatisch-individualistischen Sozialcharakters macht Oskar Negt die Bildungsinstitutionen verantwortlich, die nur noch technisches Wissen, aber keine Bindungsfähigkeit mehr vermitteln. „Es ist bemerkenswert, in welcher Weise das Symbol- und Sprachspektrum dieser ökonomischen Denkweise in Bereiche eingedrungen ist, die doch bisher aufgrund ihrer eigensinnigen Strukturen mit Bedacht von rein betriebswirtschaftlichen Kalkulationen freigehalten wurden. Ich meine die Bildungseinrichtungen, Schulen und Universitäten, in denen ja nicht nur Informationen vermittelt, sondern Menschen erzogen und gebildet werden sollen. Betrachtet man dagegen die Studenten als Kunden, denen, wie in einem Warenhaus, etwas angeboten wird, was sie kaufen können oder auch nicht, dann geht etwas verloren, was wir bisher als den Bildungsauftrag dieser Institutionen angesehen haben. Das bedeutet jedoch mehr als die Umdefinition dieser Institutionen. Es bedeutet die Umdefinition des Lebens, des Überlebenswerten. Unterschlagen wird dabei, dass in schulischen und universitären Sozialisationsprozessen immer auch Bindungsfähigkeit hergestellt werden muss und Kraftreserven für den sorgsamen Umgang mit dem Gemeinwesen geschaffen werden sollten.“ (Ebd.: 193f.)
Die Ökonomisierung der Bildung, die Verwandlung der Studierenden von Bildungssubjekten in KundInnen und ein ökonomistischer Sprachgebrauch, führt am Ende nicht nur zur Umdefinition der Bildungseinrichtungen, sondern zur Umdefinition des ganzen Lebens. Der pragmatische Individualist wird in den Bildungsinstitutionen herangezogen. Sein Blick ist nur mehr auf das eigene kleine Leben gerichtet, seine Bindungsfähigkeit durch den „abgemagerten Vernunftbegriff“ (ebd.: 192) des homo oeconomicus auf Nützlichkeitsbeziehungen reduziert, seine Kraftreserven werden vom Kampf um den eigenen Vorteil vollständig aufgebraucht, so dass ihm ein Engagement für das Gemeinwesen gar nicht möglich wäre, auch wenn es ihm wider Erwarten etwas bedeuten würde.
Blinder und verbissener Fleiß
Für Theodor Adorno ist Erziehung überhaupt nur als kritische Selbstreflexion denkbar (vgl. Adorno 1971: 90) Vor dem Sturz in die Barbarei ist nur der Mensch gefeit, der selbständig denkt und sein eigenes Denken und Handeln kritisch reflektiert.
Adorno sieht den Menschen eingeschlossen in eine verwaltete Welt. Die Klaustrophobie des in einen „durch und durch vergesellschafteten, netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang“ eingesperrten Menschen führt zur Wut gegen die Zivilisation, gegen die dieser irrational und gewalttätig aufbegehrt (vgl. ebd.). Aufgabe der Bildung ist es nun, den Menschen davon abzubringen, dass dieser seine aufgestaute Wut gegen Schwache richtet, nicht „ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen“ beginnt (ebd.).
Erziehung des Menschen zur kritischen Selbstreflexion hat keinen Raum mehr in Bildungseinrichtungen, die auf ihre Ausbildungsfunktion reduziert werden, die darauf reduziert sind, in ökonomisch effizienter Weise berufsdienliche Informationen und Fertigkeiten weiterzugeben.
Was bei vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vor allem aber bei solchen aus der Gruppe der naturwissenschaft-
lich-technischen Intelligenz, auffällt, ist ihr kaum ausgeprägter Autonomieanspruch und ihr individualistischer Utilitarismus. Pragmatisch und ohne Zeit für die Reflexion über sich selbst und über größere gesellschaftliche und politische Zusammenhänge zu verschwenden, gehen sie „straight“ ihren Weg. Sie machen dort mit, wo sie sich persönlichen Nutzen versprechen. Selbst Vergemeinschaftung orientiert sich am persönlichen Nutzenkonzept. Man „vernetzt“ sich mit jenen, die dem Erreichen der persönlichen Ziele dienlich sind. Im Fachjargon der Kommunikationsbranche nennt man das etwas salopp „Netzwerken, bis der Arzt kommt“.
Jetzt soll gar nicht grob verallgemeinernd behauptet werden, dass die Jugend in den (Aus-)Bildungsinstitutionen zum
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