Performer, Styler, Egoisten
einer ernst zu nehmenden Mitsprache am Politischen ausgeschlossen und dringen deshalb auf Modalitäten, die ihnen größere Erfolgsaussichten bei der Verfolgung ihrer Ziele garantieren könnten. Den Protesten liegen insofern ganz überwiegend materielle Interessen und keine postmaterialistischen Motive zugrunde – die Sorge um den Arbeitsplatz, die Gründung einer Familie, der Statuserwerb und die Zukunft insgesamt“ (ebd.: 209).
Waren die Proteste also auch nur Mittel zum kleinbürgerlichen Zweck? Ging es den Demonstranten allein um ihre persönlichen Interessen? Wollten sie mit den Protesten lediglich die materielle Belohnung für braves Mitmachen und den kalkulierten Verzicht auf Selbstbestimmung und Freiheit einklagen?
Die ursprüngliche Motivation wird bei der Mehrheit der Protestierenden wohl die Sorge um die persönliche Zukunft, die Angst vor Arbeitslosigkeit, die Wut wegen der verweigerten Anerkennung für ihre Studienabschlüsse und die Hoffnungslosigkeit ihrer Bestrebungen nach einer bürgerliche Familienexistenz gewesen sein. Nachzufragen wäre aber, wie sich die aktive Teilnahme an den Protestbewegungen, wie sich die Erfahrungen, die sie in den Konfrontationen mit der Staatsmacht gemacht haben, auf das Bewusstsein der Protestierenden ausgewirkt hat? Und vor allem, welche Politisierungseffekte haben die Diskussionen mit Gleichgesinnten in den Occupy-Camps nach sich gezogen?
David Graeber beschreibt in seinem Buch „inside Occupy“ die Bewusstseinslage der Protestierenden am Beginn der Bewegung ähnlich wie Wolfgang Kraushaar. Er spricht von einer Ansammlung von jungen Menschen, denen man Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte, anstatt sie bei der Erreichung ihrer Ziele zu fördern und zu unterstützen. Und ganz ähnlich wie Wolfgang Kraushaar formuliert er: „Sie haben nach den Regeln gespielt und mussten zusehen, wie die Finanzklasse auf alle Regeln pfeifend die Weltwirtschaft mit betrügerischen Spekulationen in den Graben fuhr.“ (Graeber 2012a: 61) Aber in dieser Formulierung deutet sich schon der Übergang von einem auf die Durchsetzung von persönlichen Interessen gerichteten Motiv auf ein politisches Bewusstsein an, das die politischen und ökonomischen Zusammenhänge reflektiert, die die Misslichkeit der individuellen Lage hervorgerufen haben – und damit ist zumindest die Grundlage dafür geschaffen, dass ein politischer Veränderungswille entsteht, der sich nicht nur die Verbesserung der individuellen Position zum Ziel setzt, sondern der die politischen und ökonomischen Strukturen und Diskurse ins Visier nimmt und längerfristig mehr verändern möchte als bloß die eigene Situation.
Und was bleibt von Occupy?
Die Lager sind geräumt,die Euphorie ist vorbei, die Kommentare aus Wissenschaft und Medien sprechen von einem Scheitern einer Revolution. Die Beantwortung der Frage, ob eine Revolution gescheitert ist oder nicht, hängt aber davon ab, wie man Revolution definiert. Geht es bei einer Revolution nämlich nicht primär darum, den Staatsapparat zu übernehmen, sondern um die weltweite Transformation des politischen Common Sense, wie David Graeber meint, dann kann man nicht mehr so einfach vom Scheitern der Occupy-Bewegung sprechen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich durch die Occupy-Bewegung Auffassungen darüber, worum es in der Politik eigentlich geht, verändert haben. Oder wie Graeber es formuliert: „Im Gefolge einer Revolution werden Vorstellungen, die man bis dahin ausschließlich mit randständigen Spinnern verbunden hatte, im Handumdrehen zur akzeptierten Basis der Diskussion.“ (Ebd.: 176) Und tatsächlich scheint es so zu sein, dass es heute wieder möglich ist, über Systemalternativen zu diskutieren, die jenseits des herrschenden Kamikaze-Kapitalismus (vgl. Graeber 2012b) liegen, ohne gleich als linker Spinner abgetan zu werden, und auch Debatten über Alternativen zur traditionellen repräsentativen Demokratie werden nicht mehr am Rand der Gesellschaft geführt, sondern sind in ihr Zentrum eingewandert. Und noch etwas könnten die Jungen von Occupy gelernt haben: Um etwas zu verändern, braucht man nicht unbedingt traditionelle Großorganisationen mit hierarchischen Strukturen und wortgewaltige Anführer wie die, die die ’68er Bewegung dominierten. Viele haben vielleicht gelernt, dass auch horizontale Strukturen neben mehr Gerechtigkeit durchaus zu erfolgreichen politischen Aktionen führen können.
Unsere politische Landschaft wird vom
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