Performer, Styler, Egoisten
Populismus dominiert. Die abscheulichste Form des Populismus ist der Rechtspopulismus. Strache in Österreich, Orbán in Ungarn oder Blocher in der Schweiz stehen für einen Populismus von oben. Sie inszenieren sich als charismatische Lichtgestalten, die versprechen, jene zu belohnen, die ihnen bedingungslos folgen. Will der kleine Bürger etwas erreichen, so ist seine Selbstaufgabe als Subjekt der Demokratie gefordert. Es gibt nur einen einzigen demokratischen Akt, die Ermächtigung des Führers. Danach denkt und handelt der Führer für den Bürger. Im Gegensatz dazu könnte man bei Occupy von einem Populismus von unten sprechen. Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie oder andere Sündenbockideologien spielten bei den Bewegungen in Spanien, den USA, in Chile, in Deutschland etc. keine Rolle. Die Kritik der Bewegungen „richten sich stattdessen gegen wirtschaftliche und politische Eliten, gegen Wirtschaftsbosse, Banker und Parteipolitiker (...)“ (Kraushaar 2012: 57). Und das ist wohl auch das Sympathische an diesen neuen außerparlamentarischen Beteiligungsformen der Jugend. Sie kühlen sich ihr Mütchen nicht an den Schwachen der Gesellschaft, sondern an den herrschenden politischen und ökonomischen Eliten, ganz nach dem Motto von Kalle Lasn, der meint: „Es ist unterhaltsam, mit Titanen zu kämpfen.“ (Lasn 2005: 132) Das ist jedenfalls eine Form von Unterhaltung, die man sich einreden lässt.
Medien als jugendliche Inszenierungswelten
Das unternehmerische Selbst im Web 2.0
UnsereGesellschaft ist geprägt von der ständigen Erhöhung der Geschwindigkeit in allen ihren Teilsystemen. Folge der umfassenden Beschleunigung aller gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse ist die rasche Umwälzung von Traditions- und Wissensbeständen. Wie die Gesellschaft selbst wandeln sich auch Werte, Normen und Diskurse, die das Leben der Menschen leiten und bestimmen. Wenn das Alte rasch verschwindet, ist die Erhöhung der Produktivität bei der Herstellung des Neuen nötig. Neues Design, neue ethische Prinzipien, neue Werte, neue Lebensstile etc. müssen „produziert“ werden, um den Menschen Orientierung und Handlungssicherheit zu geben. Während die Alten gerne an traditionellen Werten, Normen und Wissensbeständen festhalten, sind die Jungen stark dem Neuen zugewandt. Ihnen kommt die Aufgabe zu, das Neue hervorzubringen und in der Gesellschaft durchzusetzen.
Im Jahr 1990 greift Gilles Deleuze den foucaultschen Begriff der Disziplinargesellschaft auf und stellt diesem den Begriff der Kontrollgesellschaft gegenüber (vgl. Deleuze 2011). Im Zentrum einer Disziplinargesellschaft stehen Einschließungsmilieus. Die Menschen werden in Familien, Schulen, Fabriken, Kliniken etc. integriert. In der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg erleben wir eine sich stetig steigernde Krise dieser Einschließungsmilieus. Die Gesellschaft ordnet sich neu. An die Stelle der rigiden disziplinargesellschaftlichen Strukturen treten Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen. So wird die Fabrik durch das Unternehmen ersetzt. Ist die Fabrik eine rigide Zwangsstruktur, so stellt das Unternehmen mehr ein geistiges Prinzip, eine Idee des gemeinsamen Arbeitens und Produzierens dar.
Die Erwartungen an den Menschen sind naturgemäß in kontrollgesellschaftlichen Strukturen andere als in disziplinargesellschaftlichen. Während in der Disziplinargesellschaft Einordnung, Unterordnung und passive Gefolgschaft gefragt sind, wird in der Kontrollgesellschaft ein aktiver, eigenverantwortlich handelnder Menschentypus verlangt. Wurde in der Gesellschaft der Einschließungsmilieus nach dem Prinzip Überwachen und Strafen mit den Menschen verfahren, so steht in der Kontrollgesellschaft die Aktivierung der Selbststeuerungspotentiale der Bürger im Zentrum der gouvernementalen Diskurse.
Der ideale Subjektentwurf unter kontrollgesellschaftlichen Bedingungen ist das „unternehmerische Selbst“ (vgl. Bröckling 2010). Die ideale Medienwelt des eigeninitiven und auf Erfolg ausgerichteten „unternehmerischen Selbst“ ist das Web 2.0. In der Sphäre der „Lean-Forward-Kultur“ der Weblogs, Wikis und Online Social Networks kommt der selbstkontrollierte Entrepreneur so richtig zu sich. Hier kann er sich vermarkten und andere dabei beobachten, wie sich diese vermarkten. Immer das eigene Selbst im Blick, an dem beständig gearbeitet wird, versucht der postmoderne Ego-Performer adäquate, erfolgversprechende Selbstkonzepte zu entwickeln und zur Darstellung zu bringen.
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