Performer, Styler, Egoisten
In einer neoliberalen Unternehmergesellschaft besteht sowohl für individuelle als auch für kollektive Akteure die absolute Notwendigkeit zur überzeugenden Selbstdarstellung. Der ganze Mensch ist im Rahmen von Selbstdarstellungs-, Selbstthematisierungs- und Selbstinszenierungstechniken gefordert. Eine ständige Herausforderung, die täglich von neuem anzunehmen ist (vgl. Carstensen 2009).
Das Web 2.0 bietet die ideale kommunikationstechnische Grundlage für ein Selbst, das sich zur permanenten Selbstdarstellung gezwungen sieht. Unter marktgesellschaftlichen Verhältnissen ist das Erfolgskonzept für den Einzelnen die Selbstvermarktung. Nicht nur Waren und Dienstleistungen müssen unter Gesichtspunkten des Marketings betrachtet werden, auch das Individuum selbst ist zur Ware geworden, deren Wert sich primär durch Image-Building und die Fähigkeit zur marktorientierten Kommunikation konstituiert.
Innerhalb der Welt des Web 2.0 ist die Kommunikationsplattform „facebook“ das zentrale Medium der Selbstdarstellung. 85 Prozent der unter 30-jährigen Community-User nutzen „facebook“, um das eigene Selbst zu inszenieren und zu vermarkten (tfactory 2010).
Internet und Web 2.0 eröffnen somit einen neuen sozio-technischen Möglichkeitsraum, in dem sich individuelle, aber auch kollektive Akteure selbst darstellen können. Insbesondere Jugendkulturen und -szenen erhalten die Möglichkeit, sich über die natürlichen Begrenzungen des körper- und gegenstandsgebundenen Soziallebens hinaus zu vernetzen. Der virtuelle Kommunikationsraum des Web 2.0 erweitert die Kontakträume und eröffnet zusätzliche Möglichkeiten der Vernetzung und der Intensivierung von sozialen Beziehungen. Die in der neuen digitalen Kommunikationstechnologie angelegten Tendenzen zur Pluralisierung und Diversifizierung von Medientechnologien und Kommunikationskanälen fördern die Ausdifferenzierung und Spezialisierung von soziokulturellen Milieus. Stärker als traditionelle Medien befördert das Web 2.0 die gegenseitige Abgrenzung von jugendkulturellen Netzwerken.
Es wird die Vernetzungen und Vergemeinschaftung von Individuen mit gemeinsamen kulturellen Merkmalen unterstützt. Kenntnisse über das kulturelle „Andere“ bleiben außen vor, weil sich die Akteure in erster Linie in den heimatlichen Kontexten des eigenen Codes bewegen. In der Praxis kann das bedeuten, dass der kommunikative Code anderer Communitys als der eigenen nicht mehr verstanden oder missverstanden wird. Das Web 2.0 differenziert die kulturellen Welten aus, ohne dass es Wissen über andere Code-Systeme vermittelt. In der Praxis der Jugendkulturen ist ein Auseinanderdriften unterschiedlicher Jugendszenen zu beobachten, die sich aufgrund von Verständigungsproblemen nicht mehr vermitteln können.
Andreas Hepp unterscheidet aufbauend auf der Systematik von John B. Thompson drei Typen von Kommunikation, die „Face-to-Face-Interaktion“, die „mediatisierte Interaktion“ und die „mediatisierte Quasi-Interaktion“. Während „Face-to-Face-Interaktion“ und „mediatisierte Interaktion“ auf „bestimmte Andere“ ausgerichtet sind, orientiert sich die „mediatisierte Quasi-Interaktion“ auf ein unbestimmtes Potential von Adressaten. Letztere Form der Kommunikation betrifft also Massenmedien wie das Fernsehen, die senden, ohne über unmittelbare Feedbackmöglichkeiten zu verfügen. „Mediatisierte Quasi-Interaktion“ ist damit monologisch ausgelegt, während „Face-to-Face-Interaktion“ und „mediatisierte Interaktion“ auf dem Prinzip des Dialogs aufbauen. Hepp weist aber auf einen wichtigen Nachteil der „mediatisierten Interaktion“ gegenüber der „Face-to-Face-Interaktion“ hin, der beachtenswert ist. Im Kern besteht dieser in den eingeschränkten symbolischen Mitteln des mediatisierten Dialogs. Es fehlt die umfassende gegenseitige Wahrnehmung. Optische Signale wie zum Beispiel Mimik oder Gestik bleiben weitgehend aus dem Dialog ausgeschlossen, und das, obwohl sie für den Verständigungsprozess und den Aufbau von persönlichen Beziehungen wie Liebe, Freundschaft oder Konkurrenz von größter Bedeutung sind (vgl. Hepp 2011). Es wird wohl zu untersuchen sein, in welcher Form diese symbolisch-defizitäre Kommunikation die Beziehungs- und Vernetzungsqualität beeinflusst.
Ein weiteres Defizit medienvermittelter Interaktion besteht in der fehlenden Möglichkeit zum „Turn-Taking“. Dies bedeutet, dass die unmittelbare abwechselnde
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