Performer, Styler, Egoisten
einer Verbindung von Selbstverwirklichungswerten und Pflicht- und Akzeptanzwerten besteht und damit auch die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft beinhaltet, sind im konservativen städtischen Bürgertum zwar in Ansätzen erkennbar, auf der anderen Seite zeigt sich aber auch eine Entwicklung, die Wilhelm Heitmeyer als die Verrohung des Bürgertums bezeichnet, d.h. die Rückbildung traditioneller Formen des bürgerlichen Mitgefühls. Anstelle dessen tritt ein emotional abgestumpfter Egozentrismus, der, zu keinem Mitgefühl mehr fähig, seinen eigenen Vorteil über alles stellt und keinerlei Verantwortung für in Not geratene Menschen zu übernehmen bereit ist.
Handlungstheoretische Überlegungen
Hans Joas weist darauf hin, dass Werte etwas sind, „das uns ergreift, das wir nicht direktansteuern können, das aber, wenn es uns ergreift, zu einer spezifischen Erfahrung der Freiheit führt (…)“ (Joas 2010: 14). Durch die Verwendung des Verbums „ergreifen“ verweist Joas implizit auf die wichtige emotionale Dimension des Wertebegriffes, um später deutlich festzustellen, dass es sich bei Werten um „selbst emotional stark besetzte Vorstellungen über das Wünschenswerte handelt“ (ebd.: 15). Werte beziehen sich also in einer emotional hoch aufgeladenen Weise auf die moralische Qualität unserer Wünsche. Sie geben uns Orientierung darüber, ob unsere Wünsche ethisch legitim oder nicht legitim sind, und lassen uns handeln, indem sie vor allem unsere Gefühle ergreifen.
Demzufolge ist es wohl nicht schwer zu verstehen, dass Werte nicht im Rahmen eines vernünftigen Diskurses „theoretisch“ vermittelbar sind. Allein durch die Aufklärung der Menschen über die Sinnhaftigkeit und den Nutzen von Werten können diese nicht weitergegeben werden. Im schlimmsten Fall ist die Folge einer lediglich appellativen, in diskursiver Form an die Menschen herangetragenen Wertepropaganda die Ausprägung einer schizophrenen Wertebildung, die ein Individuum schafft, das sich einerseits auf der diskursiven Ebene positiv auf Werte bezieht und argumentativ für sie eintritt, dessen Handlungen andererseits aber von diesen Werten weitgehend unberührt bleiben. Die Schizophrenie eines solchen Handlungstypus besteht darin, dass er sein praktisches Handeln an eigensinnigen Nutzenüberlegungen ausrichtet, während er an Feiertagen der Werterhetorik von Volksvertretern und Klerikern frenetisch applaudiert. Wie aber können nun Werte vermittelt werden?
Auch hier hilft der Rückgriff auf die Tugendlehre des Aristoteles. Für Aristoteles ist der wertorientierte Mensch ein handelndes Individuum. Und dieses handelnde Individuum eignet sich sittliche Werte dadurch an, dass es im Sinne dieser Werte handelt. „Denn was man erst lernen muss, bevor man es ausführen kann, das lernt man, indem man es ausführt; Baumeister wird man, indem man baut, und Kitharakünstler, indem man das Instrument spielt. So werden wir auch gerecht, indem wir gerecht handeln, besonnen, indem wir besonnen, und tapfer, indem wir tapfer handeln.“ (Aristoteles 1999: 34f.)
Folgt man Aristoteles weiter, so kann ein tugendhaft handelnder Mensch nur dadurch entstehen, dass er innerhalb der Gemeinschaft im Sinne der grundlegenden Werte seiner Gemeinschaft handelt. Und auch die von Helmut Klages ins Treffen geführte notwendig zu erreichende Synthese zwischen autozentrischen und nomozentrischen Werten kann nur dann gelingen, wenn es ein genügend großes Angebot an Verantwortungsrollen für junge Menschen gibt, in denen sie aktiv handelnd ihre autozentrischen Bedürfnisse verwirklichen können und gleichzeitig aber lernen, Mitverantwortung für den größeren Zusammenhang des Gemeinwesens zu übernehmen. „Verantwortungsrollen disponieren zur Ausbildung der Wertesynthese. (…) Sie tragen auch dazu bei, dass ungleichgewichtige oder von Verlust geprägte Wertekonstellationen in Richtung der Wertesynthese weiterentwickelt werden. Man kann somit die These aufstellen, dass die Zukunftschance der Wertesynthese in einem hohen Maße von dem in einer Gesellschaft erschließbaren Potential an Verantwortungsrollen abhängen.“ (Klages 1988: 148f.)
Verantwortungsrollen müssen als ernsthafte Angebote für eine wirkliche Partizipation verstanden werden. Diese realen Formen der Partizipation müssen über Sympathiekundgebungen für PolitikerInnen, soziale Bewegungen, Opfer von Unterdrückung und Naturkatastrophen etc. in Internetforen und Online Social Networks hinausgehen. Auch
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