Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
verbrachten Elysa, Clemens und Margarete im Skriptorium, um die Botschaft der seligen Hildegard für die Rupertsberger Äbtissin niederzuschreiben, die jene Worte als gewählte Nachfolgerin der seligen Hildegard zu verkünden hatte.
Clemens begann, sich heftig über den Kaiser zu erregen, dessen Plan weit verheerender war als die offene Einsetzung der Gegenpäpste Jahre zuvor. Mit einem neuen Papst aber, der unbemerkt seinen Befehlen gehorchte, wäre die Idee der uneingeschränkten Herrschaft über das Heilige Römische Reich, ja, der gesamten Christenheit, Wahrheit geworden, während aller Augen auf den Kreuzzug gerichtet waren.
Elysa wandte ein, dass der Kaiser doch unmöglich eine kanonische Wahl würde beeinflussen können, woraufhin Clemens ihr erklärte, dass es sehr wohl möglich sei, wenn es in den Reihen der Kardinäle wichtige Befürworter des einzusetzenden Kandidaten gebe. Denn noch gelte das Recht der Kandidatennennung, das jeder Kardinal ausüben könne, eine mehrheitliche Akklamation führe dementsprechend zur Bestätigung der Wahl. Und welcher der Kardinäle werde schon ahnen, dass sie einen kaiserlichen Befehlsempfänger anerkannten? Zudem hatte selbst der Mainzer Erzbischof Konrad einst seine Stimme bei einer Papstwahl gegeben, gewiss plante er ebenfalls nach Rom zu reisen, Radulfs Ernennung zu stützen.
»Radulf von Braunshorn hat als ehemaliger päpstlicher Legatausgezeichnete Verbindungen sowohl zu den römischen Prälaten als auch zu den ansässigen Adelsfamilien«, sagte Clemens mit verdunkelter Miene. »Dieses Mal wusste der Kaiser einen wahrhaft erprobten Kämpfer ins Feld zu schicken, der sich in langer Zeit der Vorbereitung der Unterstützung des Episkopats versichern konnte und in Rom großes Ansehen genießt. Wahrhaftig, Friedrich Barbarossa ist ein vortrefflicher Taktiker. So wollte er vor aller Welt die päpstliche Verfügungsgewalt über Rom und das Patrimonium Petri anerkennen und doch im Stillen seine Fäden spinnen.«
»Ein teuflischer Plan«, bemerkte Elysa.
»In der Tat.« Clemens lachte bitter. »Gewiss befindet sich in diesem Moment bereits ein Tross kaiserlicher Gesandter in Rom, der die Möglichkeiten erwägt, unseren Papst mit Hilfe listiger Ränke sterben zu lassen. Aber er hat nicht mit der seligen Hildegard gerechnet, die seinen Plan geschickt zu vereiteln wusste.«
An diesem Punkt begriff Elysa, dass die Gefahr auch nach der Eröffnung der Vision nicht vorüber war. So würde die Rupertsberger Äbtissin im Namen der seligen Prophetin einen Boten zu Kaiser Friedrich Barbarossa schicken müssen, der sich zurzeit im Pleißenland aufhielt – um ihn zu mahnen, von seinen Plänen zu lassen. Gewiss würde die Botschaft in großer Runde verlesen, wie es bei Hofe üblich war, und unter den Nicht-Eingeweihten für falsche Heiterkeit sorgen. Doch der Kaiser und seine Berater wären vor jenem Schritt gewarnt.
Eine allzu öffentliche Verkündung der Vision würde einen Zusammenbruch des Reiches zur Folge haben, darin waren Clemens und Elysa sich einig. Es gab machthungrige und nicht weniger mordlüsterne Fürsten, die nur darauf warteten, den Kaiser ins Heilige Land ziehen zu sehen, um dann die Herrschaft an sich zu reißen. So galt es, sorgsam zu taktieren und das Unglück zu verhindern, ohne ein neues heraufzubeschwören.
Ein weiterer Bote sollte vom Rupertsberg nach Rom reisen, den Papst vor den Plänen des Kaisers zu warnen. Ein anderer zum Mainzer Klerus mit der Empfehlung, den flüchtenden Exorzisten zu verstoßen, wenn man die eigenen Hände in Unschuld waschen wollte.
Noch am selben Tag machte sich ein Bote mit den Schreiben zum Rupertsberg auf und kündete zugleich vom Tod der Priorin.
Vor ihrem Ableben hatte Agnes Ida noch einen ledernen Beutel übergeben, den Adalbert bei seiner Ankunft bei sich getragen hatte. Elysa hatte ihn gleich als jenen Beutel erkannt, der unter der Strohmatte gelegen hatte, als sie die Zelle der Priorin nach dem Fragment durchsucht hatte. Was sie im Dunkel der Nacht für einen vom Wasser geschliffenen Stein gehalten hatte, zeigte sich bei Licht betrachtet als kostbarer Rubin – Stein der Mondfinsternis.
Nun, da Elysa mit Margarete und Clemens auf einer der Steinbänke im Kreuzgang saßen und über die Geschehnisse der vergangenen Tage redeten, kamen sie auf die Bedeutung dieses Steines zu sprechen.
Margarete hatte jenes Buch über die Feinheiten der Natur auf den Knien liegen, das Jutta in ihrer Krankenstube verwahrt hatte. Sie
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