Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Reise durchs Rheingau, und man stellte ihm anheim, es Euch zu übergeben.« Radulf von Braunshorn senkte die Stimme. »Jenes Schreiben jedoch, das die Aufnahme einer Handwerkstochter empfiehlt, hat die Kanzlei niemals im Auftrag des Erzbischofs verlassen.«
»Ich frage mich, was Euch so sicher macht? Trägt es doch dasselbe Siegel?«
»Nun«, setzte er verstimmt nach, »dann lassen wir einen Boten nach Mainz reisen und die Kanzlei des Erzbischofs um Klärung ersuchen.«
Agnes seufzte. »Doch wen sollen wir entsenden? Reisende Boten sind rar gesät, sie alle tauschen Briefe mit dem Rupertsberg. Mir bleibt nur wenig Zeit. In drei Tagen soll die Anwärterin aufgenommen werden. Was soll ich mit einer Person ohne Empfehlung, ohne jegliche Mitgift? Wie soll ich sie ernähren? Unsere Taschen sind leer.«
»Dann entsendet einen Eurer Laienbrüder«, antwortete Radulf von Braunshorn maliziös. »Es ist Winter, die Äcker sind bestellt, sie ergeben sich ohnehin dem Müßiggang.«
»Ich habe nur wenige Laienbrüder«, zögerte Agnes und fuhr sodann entschlossen fort. »Doch ich werde den Kräftigsten von ihnen beordern: Bruder Gregorius.«
6
A ls Clemens von Hagen die Gaststube betrat, schlug ihm eine erfreuliche Wärme entgegen. Dazu der Geruch gebratenen Fleisches gleichsam vermengt mit dem Gestank ungewaschener Leiber. Der große Raum war voller Menschen, die Schutz vor dem Unwetter gesucht hatten und sich nun die Zeit mit Wein und Gesprächen vertrieben, und Händlern, die auf dem Oppenheimer Markt ihre Ware feilbieten wollten.
An einem Tisch saß ein Gaukler, der dem Wein offenbar zu sehr zugesprochen hatte. Lärmend und singend sprang er auf die Tafel und tanzte, bis er stürzte, am Boden liegen blieb und augenblicklich in tiefen Schlaf verfiel.
Die Mönche waren freilich nicht zugegen, es war kein Ort für Ordensbrüder, und doch hatte Clemens entgegen aller Vernunft gehofft, sie hier anzutreffen.
Er war in großer Sorge. Wen auch immer er auf dem Weg gefragt hatte, sei er aus Mainz gekommen oder aus Oppenheim – niemand hatte die Mönche gesehen, nicht einmal die Ortskundigen, die jeden Winkel dieser Stadt kannten und vorbeiziehende Reisende ansprachen, um Führungen anzubieten.
Einen Moment lang hatte Clemens mit sich gerungen, ob er sich eine Rast zugestehen konnte, doch er musste seinen Mantel trocknen, sich wärmen und etwas essen, um dann erfrischt die Suche fortzusetzen.
Der Kanonikus suchte sich einen Platz nahe dem offenen Herdfeuer, an dem ein Küchenjunge einen Kessel mit Wasser und einer Handvoll Pastinak füllte.
Ein Wunder, dachte Clemens, als er die köstlichen Dinge sah, die an den Nebentischen aufgetragen wurden. Gebratener Hecht und Speck, Wurst und Pasteten, Käse und gedörrte Birnen. Krüge mit dunklem Wein und klarem Wasser. Ja, ein Wunder, denn Gasthäuser waren rar, aber hier in Oppenheim, das seit über einem Jahrhundert über das Marktrecht verfügte, gab es allerhand Schildwirtshäuser, denn der Wein dieses fruchtbaren Landstriches war über die Grenzen des Bistums hinaus bekannt.
Clemens winkte dem Mundschenk, der herbeieilte und nur wenig später zurückkehrte, in den Händen einen sauberen Becher Wein, gepökeltes Fleisch, Rüben und Nüsse.
»Möget Ihr die Speisen freudig zu Euch nehmen«, brummte er gefällig, während er die Köstlichkeiten vor Clemens abstellte.
Der Kanonikus konnte kaum an sich halten, zwar war er das Fasten gewohnt, doch niemals hatte er Essen mit einer solchen Inbrunst herbeigesehnt. Fast hätte er das Fleisch verschlungen, doch er erinnerte sich der Sitten, und so genoss er jeden Happen, bis kein Krumen mehr auf dem Teller verblieb, und auch den Wein, der wohl schmeckte und nicht so sauer wie die meisten anderen, die er zuletzt getrunken hatte.
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wie gerne hätte er seinem Bedürfnis nach Schlaf nachgegeben! Aber er musste weiter.
Ein schmerzhaftes Pochen erinnerte ihn an seine Wunde, doch ihm blieb keine Zeit. Wo auch sollte er sie versorgen, hier, zwischen all den anderen Reisenden?
Clemens zahlte mit einer aus dem Saum seines Gewandes gelösten Münze und verließ das Gasthaus.
Eisige Kälte empfing ihn, und er schämte sich seines Verlangens,sich weiter der Völlerei hinzugeben und ein Nickerchen im Warmen zu machen, statt die Suche fortzusetzen.
Mutlos bestieg er das Pferd und verharrte in der Überlegung, was nun zu tun sei. Sollte er der Römerstraße weiter in Richtung Cannstatt folgen, obwohl
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