Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
in ihren Eingeweiden bemerkbar machte, oder lag es an dem ungewohnt fetten Stück Fleisch, das sie hastig verschlungen hatte?
Mit der brennenden Fackel ging sie die Treppe zur Krypta hinab, leuchtete in jeden Winkel. Auch wenn es unmöglich schien, dass Margarete das Leinentuch zurück in die Ritze geschoben hatte, befühlte Elysa nun die Spalten der Wand, in der die Nonne das Pergament versteckt gehalten hatte. Vergebens.
Indes nahm das Zerren im Magen zu, steigerte sich zu einem heftigen Unwohlsein. Elysa erschrak. Sie musste augenblicklich ins Freie, wenn sie sich nicht in den heiligen Gemäuern entleeren wollte. Doch noch während sie die Stufen hochhastete, schlug die Tür zur Krypta zu.
»Wartet«, rief sie und unterdrückte die aufsteigende Übelkeit. »Sperrt mich nicht ein!«
Der Riegel aber wurde vorgeschoben, und Elysa erkannte mit plötzlicher Klarheit, dass ihr Leben nun alleine in Gottes Händen lag.
8
D er kleine Punkt auf dem Wasser war durch den peitschenden Hagel nur zu erahnen, doch als Clemens ihn erblickte, wusste er, dass es sich um die Mönche handelte.
Trotz der glatten Straße trieb er sein Pferd an. Unweit des Weges lag ein dichter Wald, die Straße nahm dort eine Biegung und entfernte sich vom Ufer. Clemens musste das Boot erreichen, bevor die dichtbewachsene Böschung ihn daran hinderte.
Das Pferd war schnell. Mit großen Sätzen überwand es die Entfernung, bald schon war das Boot in Rufweite.
Ja, es waren Benediktinermönche, vier an der Zahl. Clemens erkannte ihre Ordenstracht, die tief über den Kopf gezogenen Kukullen.
Er sprang vom Pferd und rannte an das schlammige Ufer, die Ledersohlen seiner Schuhe fanden kaum Halt. Fast wäre er gestürzt.
»So wartet«, rief er mit lauter, dröhnender Stimme. Das Boot trieb voran, niemand hob den Kopf. Dann endlich merkte der Bootsmann auf. »Haltet an!«
Der Mann sah unsicher ans Ufer und schüttelte den Kopf. Der Rhein war breit geworden, das Boot trieb längs der gegenüberliegenden Seite. Auch wenn Clemens sich beinahe gleichauf befand, so war die Entfernung noch zu groß. Wie nur konnte er sich verständig machen? Rasch breitete er die Arme aus und verfiel in eifriges Winken.
Aus der Ferne sah er, wie der Bootsführer die Mönche ansprach und mit ausgestrecktem Arm zu ihm deutete. Alle vier drehten sich um, einer von ihnen gestikulierte, zeigte weiter flussaufwärts.
Clemens rannte zu seinem Pferd, saß auf und kehrte zur Straße zurück. Hatten die Mönche ihn verstanden?
Er ritt die Biegung entlang, durch den nicht enden wollenden Wald. Endlich wandte sich der Weg zurück in Richtung Ufer. Der Fluss war hier ungleich schmaler. Er hatte sich geteilt und umschlang eine kleine Insel. Erleichtert stellte Clemens fest, dass der Schiffer das Boot mit den Mönchen an der ihm zugewandten Seite entlangsteuerte und sich nun beständig näherte.
Der Kanonikus stieg ab, vertäute die Zügel an einem Baum und ging zum Wasser. Nun konnte er ihre Gesichter erkennen.
»Was ist Euer Begehren?«, rief einer der Mönche zu Clemens hinüber, offenbar der Älteste.
»Wenn Ihr vom Kloster Zwiefalten seid, auf dem Weg von Eibingen, so muss ich mit Euch sprechen.«
»Wir kommen in der Tat von Eibingen.«
Das Boot trieb näher. Clemens konnte nun bis auf den Bootsgrund sehen. Wo war der tote Mönch?
»Mein Name ist Clemens von Hagen, Kanonikus aus Mainz, und ich bitte Euch, mich anzuhören und meine Fragen zu beantworten.«
»Worum handelt es sich?«, fragte der Mönch.
»Um das Vermächtnis der seligen Hildegard von Bingen.«
Das Boot legte an. Der Mönch kletterte umständlich ans Ufer, er war klein, mit dickem Wanst und wachen Augen. Er stellte sich als Bruder Wenzel vom Kloster Zwiefalten vor, während die anderen abwartend und mit offenem Misstrauen im Boot verharrten.
In diesem Augenblick endete der Hagel. Obschon die Wolken noch immer tief und dunkel hingen, war die Luft plötzlich klarund ruhig. Später erinnerte Clemens sich daran, dass es ihm wie ein Zeichen des Himmels erschienen war.
»Gott hat mein Flehen erhört«, begann der Kanonikus. »Ich bin viele Meilen geritten, um Euch zu begegnen, und nun danke ich dem Herrn, dass ich mein Ziel erreicht habe.«
Bruder Wenzel nickte aufmerksam, und Clemens fuhr fort: »Die Vorfälle in Eibingen sind bis nach Mainz gedrungen, und so begab ich mich ins Kloster, um sie zu untersuchen. Doch der Tod Eures Bruders gibt allzu große Rätsel auf, die ich allein mit Eurer Hilfe zu klären
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