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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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sprach den Segen und sprengte Weihwasser, so dass es zischte.
    Dann trat Radulf von Braunshorn vor Ida und beschwor sie, die Wahrheit über jene Nacht zu sagen, in der das Feuer erloschen war.
    »Der Heilige Geist ist wie ein Feuer, das bald in Flammen erscheint, bald erlischt«, erklärte Ida. »Er ist das Feuer und das Leben. Ich Armselige habe meinen Blick nur auf das wahre Licht gerichtet und wurde erhört.«
    »So willst du nicht gestehen«, entgegnete Radulf mit mildem Bedauern. »Es wird dir heute sehr leid tun, dass du hier gegen Gott stehst und die Wahrheit verleugnet hast.« Er breitete die Arme aus und rief mit fester Stimme: »Ich will eine Rute und Geißel gegen die Lügnerin sein, die eine Tochter des Teufels ist. Denn der Teufel verfolgt die Gerechtigkeit Gottes. Sie wird das glühende Eisen fassen und drei Schritte tragen müssen. Wenn das Eisen vorher fällt oder ihre Haut aufs Übelste verbrennt, so ist ihre Schuld erwiesen, doch heilen die Hände innerhalb von drei Tagen, so ist sie von der Schuld befreit. Durch diese Tatsachen soll die Wahrheit bewiesen werden.«
    Die Worte hallten durch das Kirchenschiff. Die Nonnen schwiegen ernst, auch diejenigen, die sich noch vor der Kirche ereifert hatten. Anna hielt den Kopf gesenkt.
    Elysas Herz schien zu zerspringen. Das Eisen glühte rot. Wiesollte Ida es tragen, ohne einen Schaden zu nehmen? Sie würde scheitern, noch nie hatte sie von jemandem gehört, der diesem Urteil standgehalten hatte.
    Unweit von Ida stand Priorin Agnes, die Augen gesenkt. »Gott gebe dir als Gehilfin die mildeste Mutter, die Barmherzigkeit«, sagte sie leise. Auch der Exorzist hatte es gehört, doch sein tadelnder Blick vermochte die Priorin nicht zu erreichen.
    »So lasst uns nun Gottes Ratschluss erfahren.«
    Humbert von Ulmen segnete erneut das Eisen, führte Ida zu der Stelle, von der aus sie es nehmen und voranschreiten sollte, und stimmte zum Gesang der Psalmen an.
    Ida, die im Gebet verharrt hatte, bückte sich, während sich ihre Hände dem glühenden Eisen näherten, um es schließlich entschlossen zu ergreifen. Hatte sie sich die ganze Nacht in tiefer Meditation auf diesen Moment vorbereitet, so war ihr nun anzusehen, dass der Schmerz sie augenblicklich aus der Innenschau riss. Ihr Blick verzerrte sich, sie begann zu schwanken und schien mit dem Eisen in Richtung der Nonnen zu fallen, die kreischend auseinanderstoben. Dann aber fasste sie sich und tat den ersten Schritt, sodann den zweiten. Geraden Weges, als könne sie sehen, das Antlitz auf seltsame Weise erleuchtet, bis sie schließlich den dritten Schritt vollendete und das glühende Eisen auf den Steinboden fallen ließ, wo es in einer Pfütze zischend verglomm.
    Stöhnend erhob Ida die Hände zum Himmel, dabei entfuhr ihr der Schrei, den sie anfangs unterdrückt hatte – er war laut und durchdringend, spülte all den Schmerz an die Oberfläche und erschütterte Elysa bis ins Mark. Doch um wie viel schlimmer bestürzten sie die Wundmale! Die Handflächen der Blinden waren versengt, die Haut schwarz verbrannt. Ein unerträglicher, süßlicher Geruch breitete sich in der Kirche aus. Margarete schreckte tränenüberströmt auf und flüsterte: »Ich kenne diesen Geruch!«
    In diesem Augenblick riss der dichte Wolkenvorhang auf. Die Sonne fiel strahlend durch das offene Kirchendach, glitt über Idas erhobene Hände und erhellte den Saal.
    Später, als die Nonnen sich aufgeregt wispernd über den Vorfall unterhielten, vermochten sie nicht mehr zu sagen, ob Idas Antlitz tatsächlich selbst zu leuchten begonnen hatte oder ob es nur das Licht der Sonne gewesen war, denn stand die Sonne um diese Zeit nicht weiter im Osten?
    Doch in diesem Moment, als Ida erstrahlte, fuhren Worte aus ihrem Mund, welche die anderen nicht zu verstehen wussten.
    » Aigonz est Ophalin «, rief die Blinde verzückt aus, und es klang beinahe, als würde sie singen. Dann veränderte sich ihre Stimme, wurde glockenklar wie die eines Kindes. »O himmlische Töchter! Getränkt aus dem unausschöpfbaren, ins ewige Licht übersprudelnden Quell, entzündet an der nie verlöschenden Leuchte des Wortes Gottes, sucht ihr unermüdlich in reinem Glauben, was Gottes ist, und verlangt danach, es zu finden. So höret folgende Worte: Die Liebe ist ein nie verlöschendes Feuer. Aus ihm haben die Funken des wahren Glaubens ihr Feuer, die in den Herzen der Gläubigen brennen. Daher muss der Mensch unter schmerzlichem Seufzen in reuevoller Zerknirschung oder mit

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