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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Versprechens und kehrt zeitig zurück.« Dann deutete sie auf die umstehenden Nonnen. »Worauf warten sie?«
    »Auf das gerechte Urteil des Herrn. Sie wollen Ida prüfen.«
    »Die blinde Ida?«
    Margarete blickte sich hastig um. »Während du noch gegen das Gift gekämpft hast, kam es im Kapitelsaal zu einem Aufruhr. Ida wurde beschuldigt, den Kirchenbrand mit dämonischen Kräften gestoppt zu haben.«
    »Und was ist die Wahrheit?«
    »Das weiß nur der Herr. Wir waren in den Kreuzgarten gerannt, zu jener Zeit, als die Kirche brannte. Dort stand Ida, den Flammen ganz nah, mit zum Himmel erhobenen Armen, und rief unverständliche Worte. Kurz darauf erlosch das Feuer, als hätte es das auf ihre Beschwörungen hin getan.«
    »Hatte es geregnet?«
    »Nein, es ging ein leichter Wind. Ida behauptet, es wäre Gottes Hilfe, um die sie gefleht hatte.«
    Elysa nickte. Vielleicht hatte Ida magische Formeln gesprochen, vielleicht hatte sie darin vor Gott gefehlt. Doch war es nicht eine christliche Tat gewesen, ein Haus Gottes vor dem Untergang zu bewahren? Selbst der heilige Bernhard von Clairvaux hatte magische Sprüche um den Hals getragen und kleine Briefe verschickt, die mit Zauber das Böse abhalten sollten. Wollte man der blinden Nonne die Anrufung dieser Kräfte wirklich vorwerfen? »Wäre es nicht dringlicher gewesen, sich zu fragen, wer den Brand verursachte?«
    »Die Dämonen«, fuhr Margarete erregt flüsternd fort, »die mit dem Mönch ins Kloster gekommen sind – wer will sie dafür schon anklagen? O Elysa, ich vermag dem nicht standzuhalten. Ida mag eine schreckliche Person sein, aber sie ist gewiss nicht des Teufels! Das alles hatte mit dem Mönch seinen Anfang genommen und nahm seinen Fortgang, als ich ihm das Pergament stahl.« Sie sah Elysa aufgebracht an. »Ich habe gebeichtet, doch die Sünde verbrennt noch immer mein Herz. Dieses Pergament ist es, das uns Unheil bringt.«
    »Das Pergament? Es wird unmöglich teuflische Kräfte haben.«
    »Ja, siehst du es denn nicht? Wir hatten es in den Händen, und wir beide waren des Todes. Gerettet wurden wir allein durch Gottes Barmherzigkeit.«
    Elysa wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment erhob sich aufgeregtes Gemurmel. Sie folgte den Blicken der Nonnenund bemerkte eine kleine Prozession, an der Spitze der Exorzist, dicht gefolgt vom Seelsorger und der Priorin. Dahinter Ida, ohne Stock, geführt von einer Nonne.
    Ida ging gemessenen Schrittes, das Haupt aufrecht, auf den Lippen ein Lächeln.
    Als der Zug vor den Stufen der Kirche zum Stehen kam, sah Elysa die Bosheit in den Augen mancher Nonnen, die dieses Treiben offenbar für eine gerechte Strafe hielten, allen voran die Oblatin Anna. Sie tuschelten verhalten, eine von ihnen zischte: »Sie ist eine Närrin, aufgeblasen vor Stolz. Seht, wie sie ihr Martyrium genießt!«
    Der scharfe Ton der Glocke ließ das Keifen der Frauen verstummen. Elysa unterdrückte das Verlangen, sich die Hände auf die Ohren zu pressen, und blickte hinauf zum Glockenturm, dessen heller Stein sich vom dunklen, wolkenverhangenen Himmel abhob und dessen baufälliges Dach auf dieser Seite große Lücken aufwies.
    Der absonderliche Figurenfries des Turmes lenkte ihre Aufmerksamkeit von dem erbarmungswürdigen Schauspiel vor der Kirchentreppe ab. Wie auf der südlichen Turmseite war ein bärtiger Mann in die Mitte gemeißelt, hier jedoch kniend, die rechte Hand nach oben vor das emporblickende Gesicht haltend. Zu seiner Rechten war ein gehörntes Opfertier zu sehen, zu der Linken aber – Elysa entfuhr ein überraschter Ausruf – ein großes Rad mit kreuzförmigen Speichen, daneben eine menschliche Halbfigur mit über der Brust gefalteten Händen. Laut antiken Schreibern war das Rad die Entsprechung der Sonne, die Halbfigur die des Mondes, das war Elysa bekannt, doch welch ungewöhnlicher Schmuck in einem Kloster. Die Astronomie, Teil der artes liberales, dargestellt neben ins Lachhafte verzerrten Heidenpriestern! Wollten die Erbauer dieses Turmes über die vielerorts geächtete Lehre der Astrologie spotten, oder eiferten sie ihr nach?
    Das Läuten verklang. Mit dem Verhallen des letzten Glockenschlages setzte sich die Prozession in Bewegung, schritt die Stufen hinauf und betrat die Kirche.
    Die Pfützen des vorangegangenen Tages waren nahezu getrocknet. Die Nonnen stellten sich im Chorraum auf, flankierten den Gang seitlich des Gestühls.
    Vor dem Altar lag das rotglühende Eisen, mit den Enden auf zwei Steinblöcken. Humbert von Ulmen

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