Perlenregen
Die Wasserfontänen sind wie auf einem guten Foto zum Stillstand gekommen, einzelne Tropfen hängen in der Luft fest. Schweigend verzehren wir unser kleines Mahl , betrachten die unwirkliche Szenerie. Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Bilde ich mir das alles nur ein? Was, wenn er eine Freundin hat? Einen Ehering trägt er immerhin nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich anziehend findet – doch kurze Zeit später ist er einfach nur freundschaftlich nett. Ich trau mich nicht, ihn nach persönlichen Dingen zu fragen. Es sind vielleicht fünfzehn Minuten vergangen, seitdem wir allein in dieser komischen Welt sind. Allerdings stehen die Uhren still, vielleicht ist es auch schon viel länger oder kürzer. Oder gar nicht – ist dies hier nur eine irre Phantasie? Jetzt bloß nicht den letzten Rest an Verstand verlieren!
„Du Leon“, beginne ich und versuche dabei, die Krabben so elegant wie möglich zu verzehren.
„Ja?“
„Kannst du dir vorstellen, warum das grad alles geschieht?“
Er legt sein Brötchen zur Seite, schaut mich ernst an. Gerade, als er anfangen will etwas zu sagen, macht es Zisch und Puff .
***
„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, fragt Leon mich, während ich mir die Perlenauslage in dem Juwelierladen anschaue.
Hä, was ist denn hier los? Ich drehe mich hektisch hin und her, will Leon! Ich bin’s, Nela! rufen, doch mir bleiben die Worte im Halse stecken. Leon erkennt mich nicht! Ich bin in der Zeit zurückgeworfen worden!
„Äh, Armspangen...“, stottere ich.
„Komisch, mir ist, als wenn... egal. Armspangen, ja, kommen Sie bitte mir rüber“, stammelt auch Leon unsicher und irritiert.
Mir ist schwindelig. Was passiert hier mit mir? Bin ich in einer Matrix gelandet, habe ich zuviel Und täglich grüßt das Murmeltier geguckt oder bin ich neulich zu tief in die Lektüre der schottischen Highland-Saga eingetaucht?
Den Blick fest auf den dicken Teppichboden gerichtet, gehe ich hinüber zum Armspangen-Tisch. Ich spüre, dass Leon mich ungläubig von der Seite anlinst, laufe knallrot an. Eine fürchterliche Hitze steigt mir den Hals hoch, bestimmt bekomme ich hässliche hektische Flecken, die sich nicht gut zu meinem gelben Oberteil machen. Jetzt wird mir auch noch schlecht. Ich muss hier raus!
„Entschuldigung!“, presse ich hastig heraus . Ich renne aus dem Laden, durch die helle Passage, vorbei an den schwatzenden Menschen und dem Fischrestaurant, aus dem lautes Tellergeklapper zu hören ist. Nur weg, ganz weit weg, nach draußen und zu meinem Auto!
Völlig außer Atem setze ich mich hinters Steuer und bekomme einen Heulkrampf. Ich kann mit niemanden über das Erlebte sprechen, das ist alles viel zu heftig . Jeder würde mich für verrückt erklären. Vielleicht bin ich es auch! Leon ist eine fixe Idee, ein Streich meines Unterbewusstseins. Das alles ist eine hirnrissige Phantasie, ich muss sofort damit aufhören! Ich bin Pharmazeutisch-technische Assistentin und konzentriere mich auf klare Angaben, Daten, Fakten. Langsam bekomme ich mich wieder in den Griff, das Schluchzen verebbt. Es muss Schluss sein mit diesem Hirngespinst des edlen Prinzen. Wenn ich mich da nicht so hineingesteigert hätte, wäre das alles nicht geschehen. Um mich nicht selbst in eine psychiatrische Klinik einweisen zu müssen, werde ich mich umgehend anders verhalten. Das Leben spielt sich jetzt und hier ab und nicht in einer Dornröschen-Welt! Energisch wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und dreh den Zündschlüssel um.
Als ich zu Hause in meine Wohnung komme, quatscht Kathi grad auf meinen Anrufbeantworter. Ich habe keine Lust das Gespräch anzunehmen und ziehe mein ungewohntes Outfit aus. Jeans-Mini und knallige Klamotten bringen mir kein Glück. Morgen ziehe ich wieder meine normalen Sachen an; darin bin ich wenigstens sicher vor bewusstseinsverändernden Überraschungen. Aus alter Gewohnheit schlüpfe ich in Johannes’ ausgeleiertes T-Shirt an und lege mich ins Bett. Ich will an gar nichts mehr denken, nur so schnell wie möglich einschlafen.
Am nächsten Morgen habe ich rasende Kopfschmerzen. Jammernd wanke ich zum Medizinschränkchen im Bad. Das ist der Vorteil an meinem Beruf – ich habe immer genügend Medikamente zu Hause. Ich löse mir eine Schmerztablette in Wasser auf, frühstücke eine Kiwi mit Milchkaffee und fahre zur Arbeit. Irgendwie bekomme ich den Tag herum, versuche mich zur Ablenkung ganz auf die Kunden und ihre Wünsche zu konzentrieren. Doch
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