Perlenregen
ist. Oft ist es so, dass ich ihre Lebensweisheiten gar nicht richtig wahrnehme. Erst später, wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, leuchtet mir der tiefere Sinn von Omas klugen Sprüchen ein. Heute ist so ein Tag, an dem ich es nur bei Oma in ihrem altmodischen Hexenhäuschen aushalte. Sie ist die Mutter meines Vaters – meine eigene Mutter findet es völlig primitiv, wie Oma haust und meckert regelmäßig, dass Oma aus der alten Bruchbude raus muss. Aber nichts und niemand wird meine Großmutter jemals hier herausbekommen, da bin ich mir absolut sicher.
Dass ich geheult hatte, erkannte Oma sofort, dabei hatte ich mich extra noch übergepudert, bevor ich aus dem Auto stieg. Sie stand auf ihrer Veranda, drückte mich heftig und raunte mir ins Ohr:
„Frau Klaassen ist hier, hat sich mal wieder selbst eingeladen. Da müssen wir jetzt durch, Nelchen. Sie sitzt schon in der Stube.“
Na prima, Frau Klaassen, die Tratschtante, hat mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt. Aber heute ist sie offenbar ganz Omas Meinung. Die beiden haben mich so lange in die Mangel genommen, bis ich zwischen ihnen sitzend mit der Sprache rausrückte.
„Ihr denkt bestimmt, dass ich verrückt bin, aber ich habe mich in einen Juwelier verliebt. Er arbeitet im Shinetime , das ist die neue Einkaufspassage, wisst ihr?“
„Ein Juwelier ist doch eine gute Partie!“, ruft Frau Klaassen begeistert auf und klatscht in die Hände.
„Was ist denn daran verrückt?“, fragt Oma. „Du warst doch sogar schon in einen Rocksänger verliebt, dagegen ist ein Juwelier doch ein Lottogewinn!“
„Johannes war kein Rocksänger, Oma, er hat nur in der Schülerband mitgespielt.“
„Dann sag, was an dem Juwelier nicht stimmt. Ist er homosexuell?“ Die beiden alten Damen kichern um die Wette. Wie Oma das Wort homosexuell ausspricht, hat schon was.
„Nein, schwul ist er nicht … Es ist, also, ach, ihr glaubt es sowieso nicht, ist ja auch egal.“
Frau Klaassen rückt ihren imposanten Busen zurecht, Oma rutscht mit dem Po nach vorne. Beide beginnen fast gleichzeitig mit ihrem Kreuzverhör.
„ Nelchen, raus mit der Sprache. Wenn du nicht langsam einen Mann findest, wird das nichts mehr mit meinem Urenkel!“
„Oma! Ich bin noch nicht mal 30!“
„Nein, nein, da muss ich dir deiner Großmutter schon recht geben, liebe Nela. Als Frau hat man nicht ewig Zeit. Die Männer sind da ein in einer viel besseren Position; die verteilen teilweise noch mit 70 Jahren ihre Spermien! Habt Ihr das neulich gelesen in der Fernsehzeitschrift mit diesem Rennfahrer …“
„Frau Klaassen!“, schimpft Oma. „Nicht vor dem Kind!“
Welches Kind meint sie denn jetzt? Mich? Eben glaubte sie noch meine biologische Uhr ticken zu hören und jetzt bin ich schon wieder zu jung für die brutale Wahrheit. Ich bemühe mich um einen erwachsenen Gesichtsausdruck und erzähle den beiden lebenserfahrenen Damen meine ganze Wahrheit. Gebannt hören sie mir zu, machen zwischendurch Ah und Oh . Als ich fertig mit meiner Dornröschen-Geschichte bin, nickt Oma langsam und sagt:
„So etwas gibt es. Ich habe das mal gelesen in einem Roman nach einer wahren Begebenheit.“
„Quatsch“, meint Frau Klaassen, „das war dein Unterbewusstsein. Das ist wie mit Träumen, die hat man ja auch wirklich geträumt, aber es ist nicht passiert. Aber trotzdem war es da. Deinen Leon gibt es, aber was passiert ist, hast du sozusagen vorhergesehen.“
Mir erscheint das sehr einleuchtend. Endlich mal jemand, mit dem ich über mein Problem sprechen kann – es ist doch kaum zu fassen, dass zwei alte Frauen mir mehr Beachtung schenken als meine beste Freundin! Oma schüttelt mit dem Kopf:
„Doch, das gibt es. Ich war ja auch mal in Schottland und da erleben das ganz viele!“
„Oma, das sind diese Zeitreisen, wie in den Highlander-Geschichten. Das ist doch ausgedacht, eine Sage! Ich hab das aber wirklich erlebt!“
„Soso, Nelchen, und wo ist jetzt genau der Unterschied zwischen deinem Leon und einem halbnackten Mann im Schottenrock?“
Wir kichern los. Vermutlich bin ich auch schon eine alte, verschrobene Schachtel.
„Und was schlagt ihr nun vor? Oma? Frau Klaassen? Wie bekomme ich heraus, ob es Leon nur in meiner Phantasie gibt?“
„ Also, erst einmal genehmigen wir uns ein Schlückchen. Frau Steinchen, bringen Sie doch mal bitte Ihrer Enkelin und uns beiden einen Schnaps. Und dann sehen wir weiter. Es gibt für alles eine Lösung!“
Nur mit Mühe und Not kann ich Oma davon
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