Perlenregen
überzeugen, dass ich den Holunderschnaps aus dem Keller hole. Diese Frau Klaassen ist manchmal ganz schön herrisch; ich finde es unmöglich, wie sich meine Oma von ihr herumscheuchen lässt. Aber vielleicht ist das auch das Geheimnis dieser Art von Freundschaften. Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten, aber siezen sich immer noch. Fehlt Kathi und mir vielleicht nur ein bisschen Distanz? Während ich einschenke, unterbricht Frau Klaassen meine philosophischen Gedanken und schmeißt alles über den Haufen:
„Jetzt trinken wir Brüderschaft. Ich bin Ruth! Nela? Frau Steinchen?“
Oma guckt etwas pikiert, aber dann macht sie doch mit.
„Nun ja, wie Sie meinen. Wie du meinst. Christa! Ruth, Nela? Na ja, wir duzen uns ja sowieso schon. Hoffentlich nennst du mich weiterhin Oma.“
„Natürlich, Oma! Na, dann Prost, Ruth und Oma Christa!“
Bäh, schmeckt scheußlich, aber mir wird sofort warm im Bauch. Ruth genehmigt sich noch ein Schlückchen, Oma meint:
„Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin, aber ohne Schnaps und Rauch stirbt die andere Hälfte auch.“
Meine Oma hat den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen. Darauf trinken wir dann noch einen.
„Ich würde ihn ja gerne mal sehen, den schicken Schmuckhändler“, sagt Ruth. „Hat der auch Bernsteinanhänger? Mein erster Mann Willi hat mir zur Hochzeit eine wunderschöne Bernsteinkette geschenkt, aber Walter machte immer Theater, wenn ich sie umband. Da hab ich sie weggeschmissen. Ich hätte gerne eine neue Bernsteinkette oder nur einen Anhänger , jetzt wo Walter nicht mehr bei mir ist. Wir könnten doch alle zusammen deinen Leon besuchen!“
Aufgeregt und reichlich angeschickert schaut Ruth uns an. Also wirklich, peinlicher geht es doch nicht! Ich kann doch schlecht mit zwei Omis in Leons Laden marschieren; was soll der denn denken! Oma springt von der Couch, eilt aus dem Raum und ruft im Vorbeigehen:
„Los, Haare kämmen, wir fahren jetzt einkaufen! Jeder macht noch schnell Pipi, dann fährt Nela uns. Nela, das war keine Bitte, das war ein Befehl. Hör auf uns alten Weiber, wir wissen Bescheid! Wer an der Küste bleibt, kann keinen neuen Ozeane entdecken!“
Sie nun wieder mit ihren komischen Metaphern. So lieb ich meine Oma habe, aber das ist mir jetzt doch sehr unangenehm. Hätte ich bloß nichts erzählt. Aber es hilft alles nichts. Im Nullkommanichts sind Ruth und Oma ausgehfein. Oder was sie so darunter verstehen – Ruth trägt eine hässliche graue Stoffhose und Gesundheitsschuhe in kackbraun. Dazu einen weinroten Pulli mit kurzen Ärmeln. Man mag gar nicht hingucken; überall ist sie auch noch verziert mit klobigen Ketten und Armbändern in poliertem Gelbgold. Leon steht bestimmt nicht drauf. Dagegen ist Oma in ihrem weißen Hemdblusenkleid direkt stylisch. Ihre Knie können noch so sehr weh tun, aber Schuhe mit Absatz müssen sein. Leider gefällt mir Omas Frisur so gar nicht. Früher hatte sie immer lange Haare, die sie mit einer dicken Spange im Nacken zusammenband. Einen Tag vor ihrem 70. Geburtstag entschied sie jedoch, dass sie nun zu alt für lange Haare sei. Der Frisör bescherte ihr eine langweilige Kurzhaarfrisur, die nur einen Vorteil hat: Man kann Omas Perlenohrringe jetzt besser sehen.
Ich kutschiere meine betagte Begleitung zum Shinetime , vor lauter Aufregung kann ich mich gar nicht auf ihr Geplapper konzentrieren. Hoffentlich blamieren sie mich nicht vor Leon!
„Bitte tut wirklich so, als wolltet ihr nur nach einer Bernsteinkette gucken, ja?“, flehe ich auf dem Weg vom Parkplatz zum Geschäft.
„Natürlich, liebe Nela, wir sind Profis! Nicht wahr, Christa? Uns sind unsere Männer auch nicht einfach so zugeflogen, dafür mussten wir was tun. Weibliche Raffinesse, sag ich nur.“
„Kann ich nicht einfach draußen stehen bleiben, bis ihr fertig seid? Der muss mich ja für einen Stalker halten, wenn ich dauernd in seinem Geschäft aufkreuze!“
„Was heißt denn dauernd?“, ereifert sich Oma, die einen Zahn zulegt. „Nun beeilt euch mal, ich bin neugierig auf diesen Leon! Nela, du warst doch erst einmal da, da kann man nicht von dauernd sprechen.“
„Okay, okay, ich komme mit, aber wehe, ihr sagt was Peinliches! Dann könnt ihr sehen, wie ihr nach Hause kommt!“
„Oh-oh“, machen Ruth und Oma gleichzeitig und lachen albern.
Endlich stehen wir vorm Traumgeschäft meines Traummanns. Aufgeregt fummel ich an meinen Haaren herum. Ich fühle mich noch kleiner als sonst, was kein Wunder ist. Meine
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