Perlensamt
ist auf der Gästeetage. Die ersten Leute kommen. Herren zwischen Mitte Dreißig und Mitte Fünfzig. Sie sehen aus, als hätten die Ministerien sie ausgespuckt, Verteidigung, Verkehr, Auswärtiges Amt. Kaum eine Frau darunter, und wenn, sieht sie nicht aus wie eine Frau, sondern uniform und geschlechtslos, wie man das von Polizistinnen kennt. Dann kommt doch eine. Mein Alter, hochelegant. Vermutlich lebt sie hier und nicht in Berlin. Sie wird abgeholt von einem großen schlanken Typen, sympathisch, sieht nach was aus. Sie umarmen sich. Er nimmt ihre Tasche. Noch zwei oder drei von diesen Aktenträgern, dann zwei Jungs, die wie Politjournalisten aussehen, offenes Hemd, Lederweste, Mobile mit Knopf im Ohr. Das war’s. Ich warte noch zehn Minuten. Die Mitglieder der Crew kommen. Zur Sicherheit erkundigte ich mich bei einer Frau, ihrer Uniform und den Streifen nach zu urteilen könnte sie Flugingenieurin sein – oder ist sie die Pilotin? Egal. Nein, der Flieger ist leer. Mona ist nicht mitgekommen.
Madame Eugénie ist ausgegangen, aber sie hat in der Gästeetage alles vorbereitet, für meine Frau – dies zu betonen wurde sie nicht müde. Das Bad ist mit frischen Handtüchern bestückt, das Bett bezogen. Auf dem Schreibtisch stehen eine Vase mit Blumen und eine Schale mit Obst. Madame hat einen Stuhl und einen kleinen Tisch auf den Balkon gestellt. Von hier aus hat man einen schönen Blick in die Wipfel der Bäume. Ich gehe hinunter in meine Etage. Auf meinem Bett liegt Perlensamts leere Aktenmappe, ein schönes Ding von einer französischen Lederfirma mit Tradition, ganz exquisit. Das ist mir vorher nie aufgefallen. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, sie selbst zu benutzen. Ich hole Großmutters Kassette aus dem Schrank. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß ich die Schatulle gezwungenermaßen mit nach Berlin genommen habe und immer noch nicht los geworden bin. Ich sehe mich noch einmal, wie ich in der kleinen Diele des Langenfelder Häuschens stehe, verlegen, Frau Mothes gegenüber vorzugeben, daß der Inhalt wichtig für Rosie sei, wissend, daß sie sich für den Kram darin nicht interessiert – daß sie sich für gar nichts interessiert, was sie in Langenfeld zurückgelassen hat. Was für ein Glück, daß es sich nur um so ein kleines Ding handelt und nicht um einen Schrankkoffer. Dabei fällt mir ein, daß ich mich um den Hausverkauf kümmern muß.
Die forsche Bedienung des Staubsaugers in der oberen Etage durch Madame Eugénie nimmt mir die wirre Phantasie. Ich breche das Kästchen mit einer Nagelfeile auf. Es ist innen mit rosa Stoff ausgeschlagen. Die abnehmbare Etage mit einer Rinne für Ringe ist leer. Im Fach darunter liegen drei Orden und ein Päckchen Papiere. Sie sind mit einer Kordel zusammengehalten. Zuoberst ein Reisepaß. Auf dem Deckblatt der Adler mit Laub umkränztem Hakenkreuz, DARUNTER DEUTSCHES REICH , darunter Nr. 05265 H/40. Es ist der Reisepaß von Rosemarie Lieselotte Schmidt, ausgestellt am 29. März 1941 in Düsseldorf, ungültig seit März 1945. Geboren ist sie am 11. November 1931. Unter Beruf steht Schülerin. Das Paßphoto zeigt ein lachendes, pausbäckiges Mädchen mit seitlich gescheitelten dunkellockigen Haaren. Die Locken habe ich nicht geerbt. Auch die Farbe nicht. Sie trägt einen Pullover, aus dem ein weißer, runder Kragen hervorguckt. Die folgenden Seiten sind leer. Ich ziehe ein Photo zwischen dünnen Papieren hervor, ungefähr doppelt so groß wie eine Briefmarke. Ein Mann in Reichsuniform, ungefähr dreißig, kurzgeschnittenes helles Haar, keine Kopfbedeckung, markante Züge. Er trägt einen der Orden. Rückwärtig der Stempel eines Photostudios in Antwerpen, Begijnenstraat 76. Darunter, handgeschrieben: Für meine Rosie von ihrem Hans. Eine Postkarte mit dem Eiffelturm, schwarzweiß. Rückseitig von einem kleinen Abstecher nach Paris grüßt Dich aufs herzlichste Dein Hans. Es ist herrlich hier auf dem Eiffelturm, habe diniert. Wenn Du groß bist, machen wir das gemeinsam. Ein Brief auf dünnem Papier, blau, vom 6. 8. ’43. Lieber kleiner Pummel! Wie alles so geht auch der Urlaub zu Ende … Bis Paris bin ich 2. Klasse gefahren, immer standesgemäß! Dort sind wir dann einen ganzen Tag geblieben.
Gelebt haben wir dort echt französisch, angefangen bei Bieren, –,30 das Stück, bis zu Pilzen ( Champignons) und Wein. Nur allzu früh mußten wir dieser herrlichen Stadt Lebwohl sagen … Viele liebe Grüße von Deinem großen Hans. 6. IO .’43 Liebes
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