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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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und ließ die Mieterin wissen, daß sie mit allem, was im Haus war, nach Belieben verfahren könnte. Das war ein paar Jahre her. Nun wollte die Dame ausziehen. Rosie bat mich, nach Langenfeld zu fahren und zu entscheiden, was mit dem Haus geschehen sollte.
    »Mir ist alles gleich. Ich habe keine Zeit, nach Deutschland zu kommen. Wenn du willst, verkauf das Ding. Das Geld gehört dir.«
    So schlicht hatte ich die Straße und die anliegenden Häuser nicht in Erinnerung gehabt. In mir hatten die kindlichen Eindrücke nachvibriert und aus der Umgebung einen dramatisch aufgeladenen Ort gemacht. Langenfeld aber wirkte aufgeräumt, bieder, grau. Es erregte keinen Anstoß, keine Freude, keinen Neid. Nicht einmal die Humboldt Street in Williamsburg, Brooklyn, wo ich meine ersten Jahre verbrachte, war so schäbig und kleinlaut wie diese Straße hier.
    Gegen vier war ich mit einer Frau Mothes verabredet. Ich zögerte, als ich aus dem Taxi stieg, als erwartete ich Spuren des Unfalls von vor mehr als vierzig Jahren, Blutflecken am Straßenrand, einen verdrehten Kotflügel, einen Schuh der durch die Luft geschleuderten Frau.
    Aber es gab nicht einmal ein Kreuz oder einen Stein, der an das grausige Ereignis gemahnte. Ich ging auf das Haus zu und besah seine hellgestrichene Fassade. Auch hier hatten die Fenster Insektengitter – wie in der Humboldt Street. Aber es klebten keine toten Mücken darin. Hinter den blankgeputzten Scheiben hingen gerüschte Gardinen. Eine messingfarbene 29 klebte neben der Haustür, darunter ein Briefkasten mit Posthorn und der Beschriftung Mothes. Ich klingelte. Frau Mothes öffnete sofort. Sie war ein wenig untersetzt und unmodisch gekleidet. Sie mußte so alt wie Rosie sein, sah aber wie Rosies Mutter aus. Ich starrte sie an, als hätte ich noch nie eine Frau dieses Alters gesehen. Nachdem wir uns begrüßt hatten, musterte sie mich verstohlen, machte mir ein Kompliment über mein Deutsch und erinnerte mich daran, daß wir uns damals, als ich mit Rosie in Langenfeld war, kennengelernt hätten. Ich wäre ein kleiner Junge gewesen, staunend und stumm. Ich hätte große Augen gehabt und mich hinter meiner Mutter versteckt. Sie niemals loslassen wollen. Nur einmal hätte ich den Mund aufgemacht. Man hatte mich gefragt, was ich hier am schönsten fände. Nichts, hätte ich gesagt. Ich konnte mich daran nicht erinnern.
    Während Frau Mothes mir pflichtbewußt das Haus zeigte, meinte ich Rosies Abneigung gegen das Deutschland ihrer Jugend zu spüren. Es roch muffig. Obwohl es der Geruch der gegenwärtigen Bewohner war, identifizierte ich Rosies Eltern damit. Wir gingen durch die Räume. Frau Mothes wies auf Dinge, die noch aus dem Besitz meiner Großeltern stammten. Nichts kam mir bekannt vor, und doch war alles für mich mit Widerwillen besetzt.
    Ich entschied, daß sie behalten konnte, was sie wollte. Was sie nicht nähme, würde entsorgt. Ich vermied das Wort Müll. Ich fragte sie, ob sie vielleicht einen Käufer wüßte. Das sei kein Problem, die Gegend sei beliebt. So ländlich und günstig gelegen zwischen Düsseldorf und Köln, zumal ja das Haus den schönen Garten habe, eine große Schüttelobstwiese, Gemüsestände, Blumenrabatten. Sie deutete an, daß es natürlich auch eine Frage des Preises sei. Wir gingen hinaus. Ich sah mir die sorgfältig gepflegte Anlage an. Sehr ordentlich. Kein Grashalm, der abseits des täglichen Harkens stand, die verblühten Tulpen mit ihren Blättern waren zusammengeflochten, die nachschießenden Blumen bereits an Bambushilfen geführt, damit sie nicht knickten. Die Äste der Birn- und Äpfelbäume waren mit Gewichten beschwert. Ich ging tiefer in den Garten hinein, suchte nach etwas, das ich wiedererkannte, einem Geräusch oder einem Geruch. Es schien, als wäre ich nie hiergewesen. Ich ging zum Ende des Grundstücks. Damals hatte der Zaun an dieser Stelle ein Loch gehabt, durch das ich kurz vor dem Unfall zur Straße entwischt war. Aber der Zaun war neu.
    Frau Mothes meinte, ich würde doch gewiß etwas Persönliches mitnehmen wollen. Sie sah mich mit großen Augen an. Suchte sie nach einer Regung in meinem Gesicht? Mußte ich irgendwie – betroffen reagieren? Emotional berührt? Etwas Persönliches. Hier gab es nichts Persönliches, nicht für Rosie, nicht für mich – sofern ich von der katastrophalen Erinnerung absah, wie ich es für mich nenne, und damit meine ich nicht nur den Unfall. Der ganze Aufenthalt in diesem Haus hatte etwas Katastrophales gehabt. Ich

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